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Traumland mit Hindernissen

Von WZ-Korrespondent Jörg Michel

Politik
Anlässlich des "Canada Day" Anfang Juli jedes Jahres wird auch die Verleihung neuer Staatsbürgerschaften gefeiert.
© corbis/White

Bei etablierten Parteien bis hin zur Pegida-Bewegung gilt Kanadas Zuwanderungspolitik als Vorbild.


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Edmonton. Für Kristy Wong kam die gute Nachricht Ende Jänner. Mit der Post erhielt sie eine kleine weiß-blaue Scheckkarte, auf der ein Ahornblatt, eine Kanadagans und ein Passbild abgebildet sind. "Die Karte war für mich das schönste Geschenk", erzählt Wong, eine Krankenschwester aus Shanghai. Denn die Karte ist ihre Arbeitserlaubnis, die Eintrittskarte für ihr neues Leben in Kanada.

Die Chinesin ist eine von rund 250.000 Immigranten, die im Schnitt jedes Jahr nach Kanada kommen. Als traditionelles Einwanderungsland wirbt Kanada gezielt um junge Zuwanderer mit guter Ausbildung wie Wong und dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Trotz Ölpreisverfall und schwächelnder Wirtschaft will die Regierung bis zu 285.000 Menschen aufnehmen - so viele wie schon lange nicht mehr.

Die aufgeschlossene Grundhaltung ist Mentalitätssache. Jeder Kanadier war irgendwann einmal selbst Einwanderer oder stammt von einem ab. Das Land hat eine der höchsten Zuwandererquoten weltweit und etwa jeder fünfte Bürger ist wie Wong außerhalb des Landes geboren. In Vielvölkermetropolen wie Toronto ist es sogar jeder zweite. Acht von zehn Kanadiern halten Zuwanderung für eine gute Sache.

Doch zuletzt war das oft gelobte kanadische Zuwanderungssystem in die Jahre gekommen. Einwanderer mussten oft jahrelang auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten und manche hatten es schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Auch die Integration gelang nicht immer. Daher reformiert die Regierung seit einiger Zeit die Zulassung mit dem Ziel, die Auswahl hoch qualifizierter Neuankömmlinge zu beschleunigen und zu präzisieren.

"Innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre wurde in Kanada im Prinzip das gesamte Einwanderungsgesetz erneuert", erklärt Immigrationsberater Gerd Damitz aus Toronto. Während vor ein paar Jahren ein guter Bildungsabschluss oft zur Einwanderung genügte, spielen heute Sprachkenntnisse und die Erfordernisse des Arbeitsmarktes die entscheidende Rolle. Ohne ein konkretes Jobangebot geht kaum noch was. "Auswanderungswillige sollten sich schon im Vorfeld um einen potenziellen Arbeitgeber bemühen", empfiehlt Berater Damitz.

"Express-Entry System"

Mit Jänner hat die kanadische Einwanderungsbehörde das bisherige Punktemodell - dabei wurden Ausbildung, Sprachfähigkeiten, Alter bewertet - durch das "Express-Entry System" ersetzt. Herzstück dessen ist ein neuer Online-Bewerberpool, in den sich alle Auswanderungswilligen unverbindlich eintragen lassen können, wenn sie bestimmte Mindestanforderungen wie Alter, Qualifikation oder Sprachkenntnisse erfüllen. Zweimal im Monat werden die Top-Bewerber vom Staat dann anhand flexibler Kriterien aus dem Pool ausgesucht und offiziell eingeladen, sich für ein Einwanderungsvisum zu bewerben. Mit dem neuen System wollten die Kanadier sicherstellen, dass nur Zuwanderer zum Zuge kommen, die auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben und sich gut in die Gesellschaft integrieren können, erklärt Damitz.

Erstmals bekommen daher auch die kanadischen Arbeitgeber Zugang zum Online-Pool. Die Firmen können sich aus der Datenbank "passgenaue" Einwanderer heraussuchen. In diesem Fall ist dem Bewerber ein Visum praktisch garantiert. Besonders gefragt sind derzeit unter anderem Handwerker, Techniker, IT-Spezialisten, Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Mitarbeiter in Pflegeberufen.

Für Kanada ist das neue Verfahren eine Kehrtwende. Bisher konnten sich Einwanderer schon im Vorfeld ihrer Bewerbung sicher sein, ein Visum zu erhalten, wenn sie anhand ihrer Qualifikation eine bestimmte Mindestpunktzahl erreichten - auch ohne konkretes Jobangebot. Jetzt ist ihnen das Visum nicht mehr sicher. Vielmehr müssen die Bewerber warten, bis sie vom Staat oder von der Wirtschaft "gezogen" werden.

Die Wirtschaft lobt die neuen Vorschriften als effizient, und die Regierung verspricht Bearbeitungszeiten von nur sechs Monaten. Bisher dauerten Einwanderungsanträge wegen der Bewerberflut nicht selten zwei bis drei Jahre. Viele Hilfsorganisationen und Anwälte dagegen sprechen von "Rosinenpickerei" der Wirtschaft und halten das System für intransparent, willkürlich und zu stark an den Erfordernissen großer Firmen ausgerichtet.

Der Dachverband kleiner und mittelständischer Unternehmen Kanadas etwa kritisierte, dass es für gering Qualifizierte oder Hilfskräfte immer schwieriger werde, nach Kanada auszuwandern. Auch ausländische Studenten, die in Kanada studiert und befristet gearbeitet haben, werden es künftig schwieriger haben, da sie im Pool im Wettbewerb mit erfahrenen Arbeitnehmern stehen. Die Möglichkeiten für Asylsuchende und Familiennachzügler wurden ebenfalls stark eingeschränkt.

Mit den neuen Regeln versucht die Regierung die Probleme der letzten Jahre zu mindern. Denn auch in Kanada war der Einstieg für Zuwanderer nicht immer leicht und die Integration gelang nicht immer. In Krisenzeiten wurden sie oft als Erste wieder entlassen, und das soziale Netz ist löchriger als in Europa. Minderheiten hatten es schwerer als Weiße, einen guten Arbeitsplatz zu finden und ihre Löhne waren oftmals niedriger.

In manchen Großstädten wie Toronto oder im frankophonen Montréal hatten sich auf Grund des starken Familiennachzugs erste ethnische Ghettos gebildet mit Menschen ohne genügende Sprachkenntnisse. Qualifizierte Zuwanderer wie Ärzte ließen sich meist in den Großstädten nieder und weniger auf dem Land, wo sie eigentlich gebraucht werden. Mithilfe des neuen Bewerberpools hofft die Regierung, den Arbeitskräftemangel in diesen Regionen zu vermindern.