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Horst Seehofer und Angela Merkel streiten in der Flüchtlingsfrage nicht um Kapazitäten, sondern den Kern der Identität von CSU und CDU.
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Berlin/Wien. Horst Seehofer weiß, dass Angela Merkel nicht reumütig erklären wird: "Ich habe in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht. Wir schaffen das nicht!" Genau diesen Eindruck vermittelt der bayerische Ministerpräsident aber im Vorfeld des Krisengipfels am Sonntag, bei dem er die Kanzlerin und SPD-Chef Sigmar Gabriel trifft. Bis dahin habe Merkel Zeit, Seehofers Forderung nach einer Obergrenze für Bürgerkriegs-Flüchtlinge nachzukommen. Sonst "müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben", droht der Bayer.
Seehofers politische Waffen sind eigentlich stumpf: Die angedrohte Verfassungsklage gegen den Bund - als Koalitionspartner der Regierung noch dazu - ist erstens rechtlich aussichtslos und wäre zweitens in ferner Zukunft, während die Bürger rasche Antworten verlangen. Der Grenzschutz ist Bundessache, eine eigene bayerische Vorgehensweise an der Grenze zu Österreich daher illusorisch. Und dass Bayern anderen Bundesländern die Arbeit überlässt, indem es die Flüchtlinge einfach weiterschickt, kommt ebenfalls nicht infrage. Schließlich wären davon auch CDU-geführte Bundesländer betroffen. Diesen Affront würde Seehofer nur wagen, wollte er die konservative Union aus CDU und CSU spalten. Davon kann aber keine Rede sein.
Seehofer reüssiert, weil die abrupten demografischen Veränderungen durch die Flüchtlinge den Kern der Unions-Identität treffen. Schließlich steht das C in beiden Parteinamen für christlich. 2010 sagte der damalige Präsident Christian Wulff (ebenfalls CDU), der Islam gehöre zu Deutschland - eine riesige Debatte folgte. Merkel hat diese Formulierung heuer ebenfalls gebraucht, Seehofer wollte ihr nicht zustimmen. In "normalen" Zeiten herrscht bei dem Thema friedliche Koexistenz. Das Spannungsverhältnis tritt nun aber offen zutage angesichts rund einer Million muslimischer Flüchtlinge, die Deutschland in diesem Jahr aufnehmen wird.
Nichts Konkretes? Egal!
Überraschend ist der Zuspruch für Seehofer bei Parteibasis und Abgeordneten der Schwesterpartei nicht. Selbst Volker Kauder, CDU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Merkel-Vertrauter, sagt lediglich: "Die Muslime gehören zu Deutschland." Für den Islam gelte das nicht. Dass die CSU bisher keine konkrete Zahl für die eingeforderte Flüchtlings-Obergrenze geliefert hat, stört die Merkel-Kritiker in der Unionsfraktion nicht. Anträge würden vorbereitet, die die Regierung auffordern, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen, sagte zuletzt CDU-Abgeordnete Christian von Stetten dem "Handelsblatt".
Das ist ein bemerkenswertes Signal der Unzufriedenheit. Bisher wurde Dissens vergleichsweise lautlos hingenommen - sei es bei Merkels Kehrtwende in der Energiepolitik oder bei der aufgegebenen Wehrpflicht. Grund waren fehlende personelle Alternativen. Merkel selbst hat potenzielle Kronprinzen wie Ex-Umweltminister Norbert Röttgen abserviert. Kanzlertauglich sind nur wenige, darunter Finanzminister Wolfgang Schäuble, der aber keine Strahlkraft besitzt. Gibt es dennoch einen offenen Aufstand gegen Merkel und die Partei riskiert den bundespolitischen Absturz? Manche Insider in Berlin wollen das nicht ausschließen.
Merkel kann Seehofer derzeit nicht bremsen. Auch nicht, indem sie den CSU-Vorschlag der Transitzonen an deutschen Grenzen bereitwillig aufgriffen hat. Die SPD sträubt sich allerdings weiterhin gegen die "Haftlager". Das Thema wird beim Dreiertreffen am Sonntag wohl eine Schlüsselrolle einnehmen, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Die Sozialdemokraten schauen dem Treiben der Koalitionspartner hilflos zu. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die auch Partei-Vize ist, wich bei ihrem Besuch in Wien am Freitag der Frage der "Wiener Zeitung" aus, wo denn die Schmerzgrenze der SPD liege. Parteichef Sigmar Gabriel warnt die Union, ihr Streit drohe die Handlungsfähigkeit der Regierung zu gefährden.
Grenzübergänge - Seite 11