Die SPÖ strebt nach Einigkeit, doch ihr fehlt ein einigendes Ziel.
Mit einem "Einigungsparteitag" hat die Geschichte der SPÖ vor 134 Jahren begonnen. Und die Einigkeit war seither ein treuer Begleiter der Sozialdemokratie. Sie hat die Partei weit gebracht und viele ihrer Forderungen zur Umsetzung. Schleichend aber, und das lässt sich in der Rückschau viel klarer sehen, ging diese Einigkeit verloren. Es ist der SPÖ zwar immer wieder gelungen, die Geschlossenheit wieder herzustellen, aber nur notdürftig und oberflächlich. So gab auch der Wechsel des Vorsitzes von Werner Faymann auf Christian Kern der Partei zwar kurzfristig Hoffnung, riss aber gleichzeitig neue Wunden auf, die bis heute nicht verheilt sind. Und dieser Versuch endete auch in einer Enttäuschung.
Das übergeordnete, einigende politische Ziel fehlt der SPÖ in Wahrheit seit langem, sieht man von der Doktrin von Franz Vranitzky ab, grundsätzlich nicht mit der FPÖ zu koalieren. Darauf konnten sich über Jahrzehnte (fast) alle verständigen. Bis der Kanzler a.D. die Doktrin selbst beendete, übrigens in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" im Jahr 2016.
Was kann der Sozialdemokratie heute als Dach dienen, unter dem sich alle versammeln? Mit Schlagworten wie "Gerechtigkeit" und "Fairness" kommt man nicht weit, das hat Faymann probiert. Auch nicht mit hohlen Phrasen wie "die Sozialdemokratie nach vorne bringen" oder "für die arbeitenden Menschen da draußen Politik machen", wie man es sinngemäß seit Jahren zu hören bekommt.
Ein kurzfristiges Ziel könnte sein, Herbert Kickl als Kanzler (oder Vizekanzler) zu verhindern. Es wäre eine Art modernisierte Vranitzky-Doktrin. Einmal geht’s noch! Aber was, wenn das gelingen sollte: Die Arbeit nieder?
Der Mitgliederentscheid, der bei der SPD weitgehend ruhig und konfliktfrei ablief, ist bei der SPÖ zur eindrucksvollen Feststellung von drei de facto gleich großen Lagern mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Interessen und politisch-stilistischen Vorlieben geworden.
Dem nicht genug, fallen die Anhänger der Kandidaten seit Wochen übereinander her, dass mittlerweile die Fantasie fehlt, wie das je wieder gut werden soll. Nur einer wird am Samstag gewinnen, der Einigkeit das Wort reden und sie wohl auch versprechen. Doch für die einen wird Hans Peter Doskozil auch nach Samstag ein illoyaler Populist mit Hang zur FPÖ sein und für die anderen Andreas Babler ein sektiererischer Marxist, der die SPÖ in den Untergang führt.
Wie in Beziehungen gilt: Wenn man einander nicht mehr aushält, ist es wohl besser, sich zu trennen. Die Distanz ermöglicht ja oft auch wieder ein besseres Miteinander. Die verbliebenen Lager in der SPÖ wären vermutlich ideale Koalitionspartner (mit anderen Parteien). Aber Parteifreunde? Wie soll das funktionieren?