Die britische Regierung rückt den EU-Austritt in den Fokus - und steht einem skeptischen Parlament gegenüber.
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London. Keine königliche Kutsche rollte vom Buckingham-Palast nach Westminster. Keine schwere Schleppe trug Queen Elizabeth II. gestern, Mittwoch, aus Anlass der Regierungserklärung, der feierlichen Thronrede. Selbst die Krone saß nicht, wie sonst, auf dem Haupt Ihrer Majestät, sondern wurde separat herumgetragen. Ein blaues Hütchen, ein diskretes Kostüm, ein motorisierter Untersatz, um ins Parlament und wieder nach Hause zu kommen: So wenig Pomp wie diesmal hat es seit 1974 nicht mehr gegeben an einem so wichtigen Tag.
Grund für die Minimal-Zeremonien waren freilich weder die ungewöhnliche Hitze in London noch das beträchtliche Alter Elizabeths II. (91). Pferde und Militär standen einfach nicht zur Verfügung nach den Paraden zum "offiziellen Geburtstag" der Königin. Durcheinander gebracht hatten den parlamentarischen Kalender die von Premierministerin Theresa May vorgezogenen Unterhauswahlen, die am 8. Juni stattgefunden und eine neue Parlamentseröffnung nötig gemacht hatten.
Für eine zusätzliche Programmänderung, von der die Öffentlichkeit bis zur letzten Minute nichts wusste, sorgte Prinz Philip. Der 96-jährige Gemahl der Queen war am Vorabend "vorsorglich" ins Spital gebracht worden, wo er sich "wegen einer Infektion" behandeln lassen musste. Thronfolger Prinz Charles musste kurzfristig als Begleiter seiner Mutter ins Parlament einspringen.
So ungewöhnlich die Umstände der Rede waren, so bemerkenswert war freilich auch die Lage, in der sich die Regierungschefin mit ihrem Kabinett befand. Noch während der Verlesung der Thronrede war sich May überhaupt keiner Mehrheit im Unterhaus sicher.
Nordirlands Partei der Demokratischen Unionisten (DUP), die ihr eine hauchdünne Mehrheit verschaffen sollte, hatte nach elftägigen Verhandlungen auch am Mittwoch noch nicht in einen Pakt eingewilligt. Und Proteste gegen eine Bevorzugung der Unionisten durch die Regierung nahmen vielerorts im Königreich zu.
Selbst wenn Konservative und DUP sich in den nächsten Tagen noch einigen sollten, braucht es aber nur eine Rebellion weniger Tory-Abgeordneter, um jedes Gesetz zu stoppen, das May in die Wege leiten möchte. Bei der Regierungserklärung fehlten darum schon einmal viele der umstritteneren Pläne, die die Premierministerin im Wahlkampf angekündigt hatte.
Nun sollen Kinder ihr tägliches freies Schulfrühstück und Pensionisten ihre winterliche Heizkostenbeihilfe doch behalten dürfen. Kontroverse Pläne zur Reform der Alterspflege - die sogenannte Demenz-Steuer - liegen erst einmal auf Eis. Das von Labour eingeführte Verbot der Fuchsjagd, das May aufheben wollte, bleibt ebenso bestehen. Und von einem Staatsbesuch des US-Präsidenten Donald Trump in Großbritannien ist erst einmal keine Rede mehr.
Stattdessen stand im Mittelpunkt der Thronrede die gewaltige Brexit-Gesetzgebung, die die Trennung Großbritanniens von der EU erfordert. Um diese Aufgabe besser zu bewältigen, beschloss das Kabinett, dass es nächstes Jahr keine Regierungserklärung geben soll - und die Queen eine Pause einlegen darf.
"Gigantische Herausforderung"
Parallel zu den just angelaufenen Brexit-Verhandlungen mit der EU soll das Parlament nun in einer zweijährigen Intensiv-Legislaturperiode dafür sorgen, dass dann wegfallende EU-Gesetze entweder in britisches Recht übernommen oder durch neue Bestimmungen ersetzt werden. Ein umfassendes Aufhebungsgesetz soll sich mit mehr als 20.000 EU-Regelungen beschäftigen. Auch Abgeordnete der Regierungsfraktion sprechen von einer "gigantischen Herausforderung". Niemand weiß, ob und bis wann ein solcher Kraftakt überhaupt zu leisten ist.
Sieben weitere, separate Brexit-Gesetze sollen den Briten außerdem die "bestmögliche Zukunft" außerhalb der EU verschaffen. Ungeachtet jüngster Spekulationen über eine mögliche Londoner Kursänderung hielt Mays Erklärung an einem "harten Brexit" fest. Neue Zoll- und Handelsgesetze sollen Großbritannien komplette Tarifhoheit verschaffen, damit das Land "neue Handelsbeziehungen rund um die Erde eingehen" könne.
Dafür ist - wie von den Brexit-Hardlinern gewollt - der Ausstieg aus der europäischen Zollunion Voraussetzung. Auch der Abschied von Euratom ist vorgesehen. Laut Thronrede übernimmt das Vereinigte Königreich die Sicherheitsaufsicht über heimische Atomkraftwerke in eigener Regie. Ebenso beendet werden soll die Personenfreizügigkeit bei der Einwanderung. Wie das bei aller deklarierten "tiefen und besonderen" Verbundenheit mit Europa geregelt werden soll, ist aber weiter offen.
Jedes einzelne dieser Gesetze muss erst mühsam durchs Parlament gebracht werden. Und im Unter- wie im Oberhaus formiert sich bereits Widerstand.
Der greift bis auf die Regierungsebene. Schatzkanzler Philip Hammond, den die Premierministerin diesen Monat noch hatte entlassen wollen, hat mittlerweile seine Stellung im Kabinett gefestigt und beginnt sich jetzt auch ohne Absprache mit May zu äußern. So will er die Frage eines engen Anschlusses an die Zollunion einstweilen offenhalten. Wirtschaft und Wohlstand, meint Hammond, müssten beim EU-Austritt Priorität haben - nicht Einwanderungspolitik.
Auch in der Labour Party rührt sich Widerspruch gegen die bisher harte Brexit-Linie der eigenen Parteiführung. Vorsitzender Jeremy Corbyn und sein Schatten-Schatzkanzler John McDonnell haben wie Theresa May ausgeschlossen, dass Großbritannien im Binnenmarkt oder in der Zollunion bleiben kann. Mehrere Dutzend Labour-Vertreter haben aber diese Woche eine Fraktion in der Fraktion gebildet, die nachdrücklich eine Teilnahme am Binnenmarkt fordert.