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Trennung, Verlust, Tod – Wie geht das?

Von Silvia Matras

Reflexionen

Ob das geliebte Haustier stirbt, der beste Freund plötzlich wegzieht, die Oma schwer erkrankt, ob sich die Eltern scheiden lassen – Kinder verkraften das nicht so leicht.


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Kinder und Erwachsene trauern auf verschiedene Art. Erwachsene können sich in vielen Fällen besser selbst helfen oder sind durch die Alltagsanforderungen von ihrer Trauer abgelenkt. Kinder bis zum 7. Lebensjahr erleben Verlust und Tod noch nicht in voller Härte. Sie sind in ihrer Phantasie- und Märchenwelt eingesponnen. Schnell kehren sie zu ihren Spielen zurück. Tränen und Lachen liegen knapp beieinander. Doch bald kommen die Fragen: Was ist der Tod? Wo ist der Opa jetzt? Warum zieht der Papa aus? War ich vielleicht nicht brav genug? Arbeitsstress, fit sein, Erfolg haben – das sind die Motoren des Erwachsenenlebens. Da bleibt keine Zeit für Gespräche, schon gar nicht über Tod oder Trennung. Wie soll man auch kindgerecht darüber reden, wenn man selbst keine Antworten hat? Wenn also Verlust, Trennung und Tod zu Tabuthemen werden, dann reagieren Kinder ganz unterschiedlich. Die einen ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück, verstummen, versagen in der Schule, wollen nicht mehr mit den Freunden spielen, klagen über Bauchweh, sind müde und lustlos, verweigern das Essen. Andere wieder werden wütend, gegen sich selbst und gegen die Erwachsenen. Auf diese Alarmzeichen heißt es reagieren.

Erste Hilfe

Bücher können Antworten und Erklärungen anbieten, auf die die Eltern selbst nie gekommen wären. Bücher trauen sich einfach mehr als Papa und Mama, reden phantasievoll oder mit schrägem Humor über Tabuthemen wie Tod oder Begräbnis. Besonders mutig und einfallsreich sind da die Autoren aus dem Norden. Man erzählt sich ja, dass die Leute aus dem Norden gegen die lichtlose Zeit und die damit einhergehenden Depressionen mit herzhaftem Sarkasmus und bissigem Humor ankämpfen.

Die schwedische Schriftstellerin und Illustratorin Pernilla Stalfelt ist dafür das beste Beispiel. In ihrem Buch "Und was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod" lotet sie mit Wort und Bild alle Todesarten aus. Die Blume, die Fliege, der Opa, ja selbst das Baby kann sterben. Vielleicht werden sie Vögel oder Engel, die miteinander durch das All fliegen. Aber was ist, wenn man eine Bratwurst wird oder als Skelett durch die Gegend spukt? Karl-Heinz soll gar als Vampir eine Frau gebissen haben. Alles halb so schlimm, denn die Zeichnungen lösen herzliches Gelächter aus. Ja, es darf gelacht werden, finden auch Ulf Nilsson und Eva Eriksson – beide ebenfalls aus Schweden. Aus Langeweile erfinden die mutige Ester und das erzählende kleine Ich die "besten Beerdigungen der Welt".

Die Hummel, die Feldmaus, der Hamster werden in Särgen, mit Gedichten und Tränen begraben. Ester ist für das Graben, das Ich für die Gedichte und der ganz kleine Bruder für die Tränen zuständig. Darf man so über den Tod schreiben? Ja, denn Trauer und Lachen gehören beide zum Leben. Das vermittelt auch die österreichisch-niederländische Autorin Rachel van Kooij in ihrem Buch "Klaras Kiste". Als die Kinder der 4. Volksschulklasse erfahren, dass ihre geliebte Lehrerin bald sterben wird, basteln sie ihr als Abschiedsgeschenk einen Sarg, den sie mit bunten Bildern innen und außen bemalt haben. "Damit sie keine Angst vor den üblichen schwarzen Kisten hat", argumentieren die Kinder.
Warum Bücher für Jugendliche gerne ins Rührselige abgleiten, weiß nicht einmal der Kuckuck. Fünfzehnjährige kann man natürlich nicht mit Bildern abspeisen. Da braucht es eine gute Story und Feingefühl. Donna Freitas Buch "Wie viel Leben passt in eine Tüte?" hat gute Ansätze, jungen Lesern über Trennung und Trauer hinwegzuhelfen: Roses Mutter ist an Krebs gestorben. Die Trauer ist groß – klar. Rose verschließt sich, streitet mit allen und bedauert sich selbst maßlos.

Dann findet sie "eine Tüte" – einen Sack, den die Mutter vor ihrem Tod für sie mit Erinnerungsstücken, die ihr über die Zeit der Trauer hinweghelfen sollen, gefüllt hat. So weit, so lesbar. Doch leider zerfließt die Geschichte in Gefühlsausbrüche, Tränen und peinliche Liebesgeständnisse. Vielleicht brauchen es Jugendliche, dass jemand für sie ihre uneingestandenen Gefühle formuliert. Mit der Erkenntnis: "Das bin doch ich!" könnte ja eine Tür aufgehen.

"Rainbows" hilft neue Wege finden

Die Amerikanerin Suzy Yehil Marta, geschieden und Mutter von drei Söhnen, erlebte, wie schwer ihren Kindern die Trennung vom Vater fiel. Daher gründete sie 1963 die erste Rainbows-Gruppe, in der Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen austauschen konnten. Gemeinsam mit der Schweizer Trauerforscherin Elisabeth Kübler-Ross arbeitete sie ein Konzept aus, das bei Trennung, Scheidung oder Tod einer wichtigen Bezugsperson helfen sollte. Die Idee wurde 1991 in Österreich übernommen.

Die ersten Rainbows-Gruppen starteten in Graz, Leoben und Wien. Ab 1996 definierte sich Rainbows als "Verein für Kinder und Jugendliche in stürmischen Zeiten, zur Begleitung von Kindern und Jugendlichen, die von Trennung/Verlust wichtiger Bezugspersonen betroffen sind" und erweiterte die Standorte. Heute gibt es in allen Bundesländern außer in Vorarlberg Anlaufstellen von "Rainbows".

Betritt man die Räume am Richard- Wagner-Platz Nummer 4 im 16. Wiener Gemeindebezirk, so fällt sofort die helle, heitere Atmosphäre auf. Kleine Sitzgruppen sichern die Intimität der Gespräche, Spielzeug, Zeichnungen und kurze Sprüche wie "Wut wird zu Mut" muntern auf. Hier dürfen Kinder in Kleingruppen offen mit den Betreuerinnen reden, weinen oder lachen, ganz wie ihnen zumute ist. Nichts von dem, was in diesen Räumen geschieht, dringt nach außen, wird weitererzählt. Es sei denn, die Kinder wünschen es. Betreut werden Kinder vom vierten bis zum siebzehnten Lebensjahr. Vom 4. bis zum 12. Lebensjahr treffen sich die Kinder über den Zeitraum eines halben Jahres einmal in der Woche für eineinhalb Stunden.

Zusätzlich gibt es für 8 bis 12- Jährige Camps, wo sie viel Freizeit miteinander verbringen und ganz natürlich untereinander über ihre Trauer reden können. Ab dem 13. Lebensjahr werden maximal fünf Treffen organisiert für jeweils drei bis vier Stunden. Termine und Orte werden flexibel gestaltet. Österreichweit waren 2016 12.218 Kinder von Scheidung betroffen, davon wurden von "Rainbows" 1325 nach der Scheidung und 375 nach dem Tod einer geliebten Person betreut." Mit Gesprächen und vor allem mit Offenheit und Anteilnahme. "Auch wenn wir als Erwachsene glauben, auf die schwierigen Fragen des Lebens Antworten bereitstellen zu müssen, haben Kinder oft die für sie hilfreichsten Vorstellungen selbst. Wichtig ist, dass jemand da ist, der zuhört", erklärt Romi Leonhardt, Leiterin der Landesstelle in Wien.
Die Methoden sind vielfältig und ergeben sich aus den Einzelsituationen. Beim ersten Treffen wird den Kindern erklärt, was in der Gruppe passieren wird, und sie entscheiden, ob sie bleiben wollen.

Nach dieser Schnupperstunde werden sie ermuntert, über ihre Gefühle zu reden oder zu zeichnen. Die Schüchternen erzählen ihre Probleme einer Stoffpuppe mit großen Augen und Ohren. "Tränchen" kann gut zuhören und plaudert nichts weiter. Wütende Kinder können sich an einem Wutpolster so lange abreagieren, bis aus Wut Mut wird. Mut, über die Ursache der Wut zu reden. Nach und nach öffnen sich die Kinder, erkennen, dass die veränderten Familienverhältnisse neue Chancen bieten, lernen, mit dem Verlust umzugehen.