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Treu wie ein Kojote

Von Kerstin Viering

Wissen
Geheult wird gerne, aber Seitensprünge gibt es nicht.
© corbis

Der Reiz des Fremdgehens scheint bereits in den Genen zu liegen.


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Berlin. Wieder ein Klischee zu den Akten gelegt. Lange war der Kojote als listenreicher Trickser und Betrüger durch die Geschichten der nordamerikanischen Ureinwohner gegeistert. Und nun schildern ihn Biologen der Ohio State University geradezu als Musterbeispiel an Aufrichtigkeit - zumindest in Beziehungsfragen. Seinen Partner zu betrügen, kommt für den amerikanischen Verwandten von Wolf und Hund offenbar nicht in Frage. Jedenfalls konnte in einer mehrjährigen Studie an Kojoten im Großraum Chicago kein einziger vierbeiniger Fremdgeher überführt werden, berichten Stan Gehrt und seine Kollegen im "Journal of Mammalogy".

Sich für ein Leben mit einem einzigen festen Partner zu entscheiden, ist unter Säugetieren sehr unüblich. Ein solches Faible für Zweisamkeit haben nur etwa drei bis fünf Prozent der Arten entwickelt, darunter auch die Hundeverwandtschaft. Nur bedeutet eine "offizielle" Paarbeziehung eben auch in Hundekreisen nicht unbedingt, dass man sich auch in sexueller Hinsicht treu ist. Mithilfe von Vaterschaftstests haben Wissenschafter schon etliche Vertreter dieser Raubtierfamilie vom Polarfuchs über den Äthiopischen Wolf bis zum Afrikanischen Wildhund des Ehebruchs überführt.

"Ich war deshalb sehr überrascht, dass wir in unserer Studie überhaupt keine Betrügereien entdeckt haben", sagt Stan Gehrt. "Obwohl die Tiere reichlich Gelegenheit zum Flirten haben, machen sie es einfach nicht." Die Kojoten-Paare, die er und seine Kollegen mit Sendehalsbändern überwacht haben, blieben vielmehr bis zu zehn Jahre lang zusammen. Und ein Blick ins Erbgut von 236 Tieren zeigte, dass sämtliche Jungtiere tatsächlich von ihren offiziellen Vätern abstammten.

Diese engen Beziehungen, die meist erst mit dem Tod eines der beiden Partner enden, könnten die Chicagoer Kojoten nach Ansicht der Forscher besonders fit fürs Stadtleben machen. Denn in der Nachbarschaft des Menschen finden die Tiere reichlich Futter, sodass die Weibchen mitunter zehn Welpen auf einmal bekommen. "Einen so großen Wurf aber könnten sie unmöglich allein aufziehen", erläutert Gehrt. Das geht nur zusammen mit einem festen Partner, der sich ebenfalls stark für den Nachwuchs engagiert.

Diesen Vorteil der Paarbeziehung wissen auch andere Tiere zu schätzen. Bei Vögeln etwa ist diese Art des Zusammenlebens eher die Regel als die Ausnahme. "Rund 95 Prozent der Vogelarten setzen auf eine feste Partnerschaft", schätzt Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. Trotzdem ist Fremdgehen in Vogelkreisen ein großes Thema. Nur bei wenigen Arten wie etwa Schwänen haben Ornithologen bisher keine Hinweise auf Seitensprünge gefunden. Selbst die als besonders treu geltenden Albatrosse haben ein paar Betrüger in ihren Reihen. Lassen sich bei diesen großen Meeresvögeln aber vielleicht ein bis fünf Prozent der Weibchen auf eine Affäre ein, so ist es bei Meisen etwa die Hälfte. Und es gibt noch krassere Fälle. "Zu den Rekordhaltern in Sachen Untreue gehören die Prachtstaffelschwänze in Australien", sagt Bart Kempenaers. In den Nestern dieser kleinen Singvögel stammen mehr als 80 Prozent der Küken von fremden Vätern.

Zwar versuchen viele Männchen, Betrugsversuche zu unterbinden - etwa, indem sie sämtliche Rivalen aus ihrem Revier werfen oder ihre Partnerinnen während der fruchtbaren Tage kaum aus den Augen lassen. Doch entschlossene Betrügerinnen finden trotzdem eine Gelegenheit. Was aber treibt so viele Weibchen dazu, sich mit Fremden einzulassen? Bei den Männchen ist die Sache ja ziemlich klar: Gefiederte Casanovas, die sich mit zahlreichen Gespielinnen paaren, erzielen ohne große Mühe einen beeindruckenden Fortpflanzungserfolg. Was die Weibchen motiviert, ist dagegen nicht so leicht zu durchschauen. "Es gibt dazu mehrere heiß diskutierte Theorien", sagt Kempenaers.

Treue und Lebenserwartung hängen zusammen

Eine davon sieht den weiblichen Seitensprung als eine Art Versicherung gegen Unfruchtbarkeit. Es scheint nämlich einen Zusammenhang zwischen Treue und Lebenserwartung zu geben: Langlebige Vögel wie Albatrosse und Schwäne, die sich oft erst nach Jahren für einen Partner entscheiden, sind meist besonders treu. Blaumeisen dagegen werden oft nur ein Jahr alt und müssen daher die gesamte Fortpflanzung in einer einzigen Saison abwickeln. Da wäre es fatal, wenn sich der gewählte Partner als unfruchtbar erwiese. Also lagern die Weibchen dieser Theorie zufolge sicherheitshalber das Sperma verschiedener Männchen ein.

Selbst ein fruchtbarer Partner muss aber nicht unbedingt ein gefiederter Traumprinz sein. Darauf basiert die "Gute-Gene-Hypothese". So manches Weibchen muss sich demnach mit einem Partner zweiter Wahl begnügen, wenn die Kandidaten mit den gefragtesten Eigenschaften schon vergeben sind. Dann bleibt ihm immer noch die Möglichkeit, per Seitensprung einen genetisch besser ausgestatteten Vogel zum Vater seines Nachwuchses zu machen. Es gibt freilich bisher keinen klaren Beweis dafür, dass der außereheliche Nachwuchs bessere Zukunftschancen hat als der mit dem eigenen Partner gezeugte. "Deshalb kommt die Gute-Gene-Hypothese gerade ein bisschen aus der Mode", sagt Kempenaers.

Indizien deuten auf "Seitensprung-Gene" hin

Stattdessen favorisieren etliche Forscher nun eine neue Theorie, nach der weibliche Seitensprünge ein genetisches Nebenprodukt der männlichen sind. "Der Hang zum Fremdgehen scheint tatsächlich eine genetische Grundlage zu haben", bestätigt Kempenaers. Er und seine Kollegen haben das bei Zebrafinken nachgewiesen. Geschwister zeigten bei diesen Vögeln immer eine ähnlich stark oder schwach ausgeprägte Vorliebe für außerehelichen Sex - selbst wenn sie als Küken in unterschiedlichen Nestern aufgewachsen waren. Wie die "Seitensprung-Gene" aussehen und funktionieren könnten, weiß bisher niemand. Klar ist aber: Wenn es sie gibt, werden sie an Männchen und Weibchen gleichermaßen vererbt. Und klar ist auch dank der Chicagoer Kojoten, dass die Treue im Laufe der Evolution nicht ganz verschwunden ist.