![Eine Illustration eines Sanitäters in einer Kriegslandschaft.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/b4d03a9c3c/wz_podcast_arzt_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Experten erwarten erste Zinsanhebung seit Juli 2008. | Für Banken und Sorgenländer der Eurozone verkraftbar. | Frankfurt. Es wäre eine Riesenüberraschung, würde die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag nicht ihren Leitzins anheben: Analysten rechnen einhellig damit - und die Zentralbanker haben die Erwartung kräftig geschürt. Die EZB kehrt somit vom krisenbedingten Rekordtief von 1 Prozent ab und macht einen winzigen, aber wichtigen Schritt in Richtung Normalität. Die letzte Zinsanhebung im Euroraum liegt fast drei Jahre zurück: Im Juli 2008 hatten sich die Frankfurter Währungswächter viel Kritik eingehandelt, weil sich die Krise bereits angedeutet hatte.
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Die aktuelle Anhebung markiert nun eine Wende zu einem schärferen EZB-Kurs. Der Zinsschritt (erwartet werden vorerst 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent) wird nämlich nicht der letzte sein: Die Experten der Erste Group erwarten den Leitzins bis Ende 2012 bei 2,0 Prozent. Die Kollegen von Raiffeisen Research sind noch früher dran und erwarten das bereits für Ende dieses Jahres. Europas Zentralbankchef Jean-Claude Trichet strafft damit die Zügel jedenfalls signifikant früher als sein US-Kollege, Fed-Chef Ben Bernanke - bisher war es stets umgekehrt.
Investitionen nehmen zu
Der Grund für die Eile ist die Inflation. Bei seinem Abgang von der EZB-Spitze im Oktober wird Trichet eine Punktlandung bei der Euro-Preisstabilität präsentieren wollen; das heißt, eine Teuerungsrate nahe bei, aber unter 2 Prozent. Im Moment verhageln ihm die Energie- und Nahrungsmittelpreise die Bilanz: Im März lag die Inflation in der Eurozone bei 2,6 Prozent.
Die wirtschaftliche Erholung trägt das ihre bei: Die Produktionskapazitäten der Eurozone sind zu 80 Prozent ausgelastet, sagt Erste-Analystin Gudrun Egger. Ab diesem Wert zog bisher stets die Investitionstätigkeit der Unternehmen an. Höhere Kreditnachfrage und -vergabe könnten die Inflation befeuern.
Den weltweiten Ölpreis kann die EZB über die Geldpolitik freilich nicht bekämpfen. Allenfalls hilft der stärkere Euro, weil dadurch Ölimporte billiger werden. Die Gemeinschaftswährung hielt sich am Montag stabil über 1,42 US-Dollar. Ein hoher Eurokurs lastet aber zugleich auf der Konkurrenzfähigkeit der Produkte und erschwert die Exportsituation für Europas Industrie.
Das Ziel der EZB ist, den Kostendruck durch geringere Kerninflation zu kompensieren. Es soll vermieden werden, dass Preise zu höheren Lohnforderungen führen und in eine Lohn-Preis-Spirale münden. Was freilich zu Machtkämpfen mit den Gewerkschaften einlädt, die in Lohnverhandlungen zumeist einen Teuerungsausgleich verlangen.
Lebenswichtige Kredite
Dass die minimal höheren Zinsen das Wachstum abwürgen, erwartet Egger unterdessen nicht: "Würde die EZB zu lange warten, müsste sie stärkere und raschere Schritte vornehmen. Das würde der Konjunktur viel mehr schaden."
Griechenland und Portugal steckten zuletzt noch in der Rezession, Deutschland hingegen wächst stark wie seit Jahrzehnten nicht: Für die EZB war es noch nie so schwer, darauf mit einem einzigen Zinssatz zu reagieren. Für die schuldengeplagte Euro-Peripherie, also Griechenland, Irland und Portugal, ist die Zinsanhebung nämlich eine schlechte Nachricht: Tendenziell verteuert sich für sie die Kreditaufnahme. Bei den exorbitant hohen Risikoaufschlägen, welche diese Länder auf dem Finanzmarkt zahlen müssten, fallen die 0,25 Prozentpunkte allerdings kaum ins Gewicht.
Niedrige Zinsen sind nur ein Teil der Krisenhilfen: Die EZB kauft Staatsschuldpapiere gebeutelter Eurostaaten und stellt den Banken unbegrenzte Mengen an Liquidität zur Verfügung. Gäbe es diese Hilfe nicht, wäre das für taumelnde Geldinstitute sehr schmerzhaft. Bisher hat die EZB nur die Laufzeiten der Geldzuteilung verkürzt. "Das sehen wir noch nicht als Würgemerkmale", sagt Raiffeisen-Analyst Peter Brezinschek.
Mit Spannung wird erwartet, ob Trichet den irischen Banken mit maßgeschneiderten Krisenkrediten einen Rettungsring zuwirft. "Womöglich hat hier irisches Wunschdenken mitgespielt", so Brezinschek.