Hoher Verbrauch von Wasser ist nicht unbedingt gesund. | Größten Nutzen haben Hersteller von Flaschenwasser. | St. Gallen. Jahrelang hieß es: Trinken, trinken, trinken. Doch einen wissenschaftlichen Beweis sind die Befürworter des Mineralwassers schuldig geblieben. Jetzt heißt es: Viel trinken macht doch nicht gesünder. Was ist nun richtig?
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"Machen Sie es wie die Models", lautet ein Werbespruch. "Viel trinken ist das beste Mittel für Schönheit und gute Haut." Andere so genannte Experten behaupten gar, reichlicher Wasserkonsum flute wohltuend die inneren Organe und reinige den Körper von Giftstoffen, glätte Falten, beschere bessere Laune und vertreibe gar eine Migräne. Sogar abnehmen könne man mit der häufig angesetzten Flasche, deren Inhalt verheißungsvoll als "preisgünstiges Lebenselixier" vermarktet wird.
Nun hat die Forschung klargestellt: Was lange währt, wird deshalb noch nicht richtig. Die US-Mediziner Dan Negoianu und Stanley Goldfarb von der Universität Pennsylvania haben nach einem wissenschaftlichen Beweis für die Wassereuphorie gesucht - und sind nicht fündig geworden. "Keine einzige Studie belegt, dass Menschen zwei Liter Wasser pro Tag trinken müssen", resümieren sie im angesehenen "Clinical Journal of the American Society of Nephrology", der Zeitschrift für Nierenheilkunde. Es nütze nichts, besonders viel zu trinken, eine gesundheitsfördernde Wirkung sei in keiner Hinsicht nachweisbar. Viel Trinken macht demnach weder die Haut glatter noch den Kopf klarer. Es steigert nur kräftig die Wachstumsraten der Wasserabfüller.
Die Industrie will von dieser neuen Nachricht aus den USA nichts wissen. "Wir bleiben bei unserer Empfehlung, zwei Liter pro Tag zu trinken", erklärt Ernst Kammerinke, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (WAFG) in Berlin. "An einem heißen Sommertag können es auch drei Liter sein, das hängt von der Gesamtkonstitution ab." Die Studie bezeichnet er als eine Einzelmeinung, wie sie alle Jahre mal wieder auftauche.
Es ist ausreichend, den Durst zu stillen
Eine normal schlanke Frau besteht zu 55 Prozent aus Wasser, ein Mann zu 60 Prozent. Dieser Wassergehalt ist überlebensnotwendig und kann nur durch fortwährendes Trinken aufrechterhalten werden. Bereits zehn Prozent Verlust an Körperwasser können einen tödlichen Kollaps zur Folge haben. Nimmt ein Mensch 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich, trinkt er im Laufe seines Lebens rund 40.000 Liter. Das, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), genüge vollkommen; allenfalls bei starker Hitze sei eine etwas erhöhte Flüssigkeitsaufnahme ratsam.
Für Jan Galle, den Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren im deutschen Lüdenscheid, sind die 1,5 Liter nur ein Richtwert. Für Gesunde sei es "völlig ausreichend, den Durst zu stillen. Wer gesund ist und nach einem Liter keinen Durst mehr hat, muss sich nicht zu mehr zwingen." Jeder solle auf die Signale seines Körpers hören und ausgiebig, aber nicht zu viel trinken. Bei normaler Ernährung wird dem Körper auch über feste Nahrung Wasser zugeführt. Nur bei kleineren Kindern und bei älteren Menschen macht das Körpersignalsystem Fehler. An heißen Tagen steigern sie die Flüssigkeitsmenge zu wenig, so dass viele von ihnen einen Hitzekollaps erleiden und in Notfallstationen versorgt werden müssen.
Zu viel trinken kann schädlich sein, weil Mineralwasser-Völlerei zu Salzmangel führen kann. Das merkt man dann, wenn sich Müdigkeit und Gliederschmerzen einstellen. Deshalb: Nicht über den Durst trinken. Selbst Kaffee kann dem Körper, obwohl lange behauptet, kein Wasser entziehen. Die Sitte, zum Espresso ein Glas Wasser zu geben, ist nur eine nette Geste. Die antidiuretischen Hormone des Körpers sorgen dafür, dass das Wasser im Körper gehalten wird. Sie sorgen auch dafür, dass bei Bedarf Durstdrang entsteht, dem mit Trinken Genüge getan werden sollte. Der Organismus ist ein großartiger Regulator. Wer über den Durst trinkt und mehr Flüssigkeit in ihn hineinzwingt, als er benötigt, tut ihm nichts Gutes.
Wasser-Stopp-Bewegung ist im Vormarsch
In Amerika werden wissenschaftliche Erkenntnisse ernstgenommen. Bereits 2007 gab es in New York die Kampagne "Get Your Fill", die Verbraucher aufforderte, statt teurem Mineral- mehr Leitungswasser zu trinken. Die Stadt San Francisco verbot ihren Ämtern, abgefülltes Wasser zu erwerben, stattdessen sollen sich städtische Bedienstete aus der Leitung bedienen. In Kalifornien nehmen immer mehr Gastronomen Wässer von der Karte. Auch der britische Umweltstaatssekretär Phil Woolas rief Restaurants auf, ihren Gästen mehr Leitungswasser anzubieten. Es sei moralisch unakzeptabel, Millionen Pfund für abgefülltes Wasser auszugeben, wenn Leitungswasser von Trinkqualität landesweit zur Verfügung stehe.
Denn das Abfüllen von Flaschenwasser verbraucht enorme Energie und verursacht einen hohen CO2-Ausstoß. Leitungswasser trinken verschafft nun auch ein gutes Gewissen. In Deutschland ist die Wasser-Stopp-Bewegung bereits im Vormarsch. So trank 2007 jeder Bürger im Schnitt 130 Liter Mineralwasser. Im vergangenen Jahr wurden 12,8 Milliarden Liter Flaschenwasser abgesetzt, 130 Liter pro Einwohner. Das waren 1,1 Prozent weniger als 2006. Wachstum gab es nur bei kohlesäurefreien Wässern - weil sie dem
Leitungswasser ähnlich sind.