Verstimmung wegen Einreise- verbot bleibt. | EU-Länder kritisieren auch die Schweiz. | Brüssel/Tripolis. Im letzten Moment konnte eine Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen Libyen und dem Schengen-Land Schweiz am Montag verhindert werden. Um die Herausgabe zweier Schweizer Staatsbürger zu erzwingen, hatten die libyschen Sicherheitskräfte die Schweizer Botschaft in Tripolis umstellt und mit der Erstürmung des Gebäudes gedroht, wie der österreichische Außenminister Michael Spindelegger erklärte. Nur durch den Einsatz mehrerer EU-Botschafter und hektischer Telefondiplomatie konnte die Lage entschärft werden. Das Grundproblem der Verstimmung zwischen dem nordafrikanischen Land und der Schweiz bleibt aber weiter bestehen.
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Nach dem Ultimatum der Libyer habe sich die österreichische Botschafterin wie zahlreiche EU-Kollegen aus Solidarität unverzüglich in die Schweizer Botschaft begeben, berichtete Spindelegger beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. Durch die Vermittlungen sei es gelungen, "die Situation zu kalmieren und die Konfrontation zu vermeiden".
Einer darf ausreisen
Der Schweizer Geschäftsmann Rachid Hamdani, der auch die tunesische Staatsbürgerschaft besitzt, durfte nach einem Freispruch Richtung Tunesien ausreisen. Sein Kollege Max Göldi musste sich den libyschen Behörden stellen; die diplomatischen Bemühungen laufen jetzt dahin, dass ihm die viermonatige Gefängnisstrafe in Libyen erspart bleibt, zu der er verurteilt worden war. Im Raum stand eine mögliche Begnadigung durch den libyschen Revolutionsführer und Präsidenten Muammar Gaddafi.
Hintergrund der dramatischen Zuspitzung ist die Affäre um die vorübergehende Verhaftung von Motassim Bilal "Hannibal" al-Gaddafi, einem Sohn Gaddafis, im Sommer 2008 in Genf. Ihm war vorgeworfen worden, in einem Luxushotel zwei Hausangestellte misshandelt zu haben. Weil seine Leibwächter der Polizei den Zugang zur Suite verwehrt hatten, schickten die Schweizer ein Sondereinsatzkommando. Im Gegenzug hatten die libyschen Behörden die Schweizer Göldi und Hamdani festgenommen und wegen Steuerdelikten und Verstoß gegen Einreisebestimmungen angeklagt. Die beiden hatten nach einer Freilassung auf Kaution in die Schweizer Botschaft entkommen können, wo sie sich bis gestern aufhielten.
Der Einsatz der libyschen Sicherheitskräfte war nur der bisher letzte in einer Reihe von Eskalationsschritten. Libyen hatte erst die Bestrafung der Polizisten verlangt, die Hannibal Gaddafi festgenommen haben. Bern gab dafür rund 180 Libyer aus dem Umfeld Gaddafis in das Schengen-Informationssystem ein, was einem Visabann für die gesamte Schengen-Zone gleichkommt. Die umfasst alle EU-Länder außer Großbritannien, Irland, Bulgarien, Rumänien und Zypern sowie Norwegen, Island und die Schweiz. Gaddafi ließ dafür erst unlängst ohne Vorwarnung ein Einreiseverbot für alle Bürger von Schengen-Ländern in Libyen verhängen.
Bern entschuldigte sich
Die Lage sei deshalb derart schwierig, weil die Schweiz und Libyen so unterschiedliche Mentalitäten hätten, erläuterte ein Diplomat. Auf der einen Seite stehe der "calvinistische Rechtsstaat", auf der anderen "ein arabischer Stammesführer, dessen Sohn beleidigt wurde".
Die Angelegenheit sei noch nicht aus der Welt geschafft, sagte Spindelegger. Doch habe sich die Schweiz bereits öffentlich entschuldigt. Nach der Lösung des Problems um ihre beiden Staatsbürger falle auch die Grundlage weg, den Konflikt aufrecht zu erhalten. In Zukunft erwarte er, "dass die Schengen-Prozedur nicht missbraucht wird, um eigene Sanktionen auf andere zu übertragen", ermahnte Österreichs Außenminister. Italien und Malta hatten die Vorgehensweise der Schweiz bereits öffentlich kritisiert.