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Triumph der grünen Störfallpartei

Von Engelbert Washietl

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Mit dem, was sich in Baden-Württemberg ereignete, hat Österreich noch keine Erfahrung. Spüren Wähler hierzulande Reformbedarf, wählen sie FPÖ.


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Die Grünen haben als einzige unter Baden-

Württembergs Parteien bei der Landtagswahl am Sonntag ihren Wähleranteil erhöhen können. Und zwar um gleich 12,5 Prozentpunkte schwupps hinauf auf 24,2 Prozent. So etwas hat bei uns im Oktober

mit fast gleichen Prozentsätzen die FPÖ in Wien vorgeführt, und das nicht zum ersten Mal.

Wahlarithmetisch ist die FPÖ eine echte Ausreißerpartei, wobei ihr sehr viel geholfen hat, dass Bundes- und Landesregierungen mit der Ausländerfrage so umgehen wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den deutschen Atomkraftwerken, nämlich unentschlossen. Beides baut Ärger in der Wählerschaft auf. Auch die Wiener hätten ihre Zuneigung den Grünen widmen können,

ticken aber anders. Deshalb können sich die österreichischen Grünen an Glücksmomente, wie sie am Sonntagabend in Stuttgart den sofort zum designierten Ministerpräsidenten erhobenen Winfried Kretschmann ereilt haben, nicht

erinnern.

Pech, wie unsere Grünen haben, stecken sie mit Japans atomarer Katastrophe in einer langen wahlkampflosen Phase. Derzeit stimmen in ihren Augen die Menschen nicht nur falsch, sondern überhaupt nicht mehr ab, obwohl deren aufgestauter Frust ein tragfähiges Gebälk für einen Erdrutsch am Wahltag hätte. Aber den Grünen hätte ein Wahlgang vermutlich wiederum nicht genützt, und das ist nicht ausschließlich ihre Schuld. Maria Vassilakous Truppe hat nicht

einmal ein nationales Atomkraftwerk als Feindbild zur Verfügung, sondern muss sich den nuklearen Schrecken leihweise in der Nachbarschaft zusammensuchen. Das mindert seinen Effekt.

Zugegeben, auch die

baden-württembergischen Grünen und auch die in Rheinland-Pfalz haben fast ausschließlich von der Leihgabe des noch immer ungezähmten größten anzunehmen Unfalls (GAU) im fernen Fukushima gezehrt, weshalb auch ihr Triumph von Parteigegnern bereits als kurzlebiges Ausreißerphänomen denunziert wird. Das muss aber nicht stimmen. Sieht man von Kretschmanns lautstarker Wahlkampfrhetorik ab, scheinen er und seine Leute sympathische Politiker zu sein, die bereits erkennen, dass man mit Fukushima zwar eine Wahl, aber noch nicht die ganze Legislaturperiode gewonnen hat. Jetzt wird viel mehr kommen. Genau genommen probieren die Grünen die Energiewende, die Klimawende oder überhaupt ein Meisterstück, das darin bestünde, den Grundcharakter des westlichen Wohlstandsmenschen zu wenden, wie man in Notzeiten einen Mantel wendet. Vielleicht wird das grün-rote Experiment in Stuttgart für alle Beteiligten lehrreicher werden als die paar Jahre der einstigen rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Denn in Baden-Württemberg stehen nicht nur vier Atomkraftwerke herum, sondern die feinsten Automobilkonzerne, deren segensreiche Wirkung ja auch irgendetwas mit Energieverbrauch und Luftverschmutzung bis tief hinein ins chinesische Reich zu tun haben. Übrigens auch etwas mit der Arbeitsplatzbilanz in Österreichs Zulieferindustrie. Dass die Börsenkurse im Alternativenergiesektor hinauf schnellen, wird nicht verhindern, dass bald auch der Grünanteil in den Energiepreisen steigen wird. Die deutschen Grünen sind dabei, uns einen politischen Trapezakt vorzuführen. Ein Störfall macht nämlich noch keine Politik, und sei er noch so groß.

Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist für "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".