Zum Jubiläum erhält Tibet eine Eisenbahn von Peking. Die Zentralregierung feiert die "Befreiung" Tibets vor fünfzig Jahren, welche am 23. Mai 1951 mit einem 17-Punkte-Abkommen besiegelt wurde - ein erzwungener Vertrag, aber für Peking Legitimation genug für die unheilige Allianz zwischen der kommunistischen Volksrepublik und dem Gottesstaat.
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Als weitere Rechtfertigung für die Annektion führt Peking besonders gern den wirtschaftlichen Fortschritt an, den es Tibet gebracht hat: Seit 1994 wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Tibet jährlich um 12,9 Prozent, und 1997 betrugen die finanziellen Zuwendungen der Zentralregierung 324 mal mehr als 1952.
Als neuesten Coup hat Peking im Rahmen der Westentwicklung Chinas den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen der Provinz Qinghai (wo ein Teil der rund 6 Millionen Tibeter lebt) und Lhasa angekündigt. Die 1118 Kilometer lange Linie führt über äußerst schwieriges Terrain und soll in sechs Jahren fertiggestellt sein. Tibet ist die einzige Region, die noch nicht an das chinesische Eisenbahnnetz angeschlossen ist.
Neue Dimensionen der Ausbeutung
Die Kosten von rund 2,5 Mrd. US-Dollar trägt die Zentralregierung. Offiziell soll die Bahn zum wirtschaftlichen Aufschwung der Region beitragen. Typische Produkte wie Kräutermedizin und Kunsthandwerk werden die Absatzmärkte leichter und günstiger erreichen. Auch der Tourismus, eine Haupteinnahmequelle Tibets, wird von den besseren Transportmöglichkeiten profitieren. Im Jahr 2000 besuchten rund 500.000 Reisende das Dach der Welt.
Peking wiederum wird einen leichteren Zugang zu den Bodenschätzen der Gegend haben. Bisher waren dem Abbau von Erzen und Mineralien durch die schlechten Transportbedingungen enge Grenzen gesetzt. Hier wird die Bahn neue Horizonte der Ausbeutung öffnen. Umweltschützer warnen jetzt schon vor den Folgen.
Für Peking ist die Bahn auch strategisch von Bedeutung. Tibet ist eine Pufferzone gegen Indien, mit dem China in langwierige Grenzstreitigkeiten verwickelt ist. Die Bahn wird die Versorgung der in Tibet stationierten Truppen erleichtern und, im Notfall, neue bringen. Die Truppen sind auch da, um in Tibet eine - wenn auch angespannte - Ruhe zu gewährleisten. Immer wieder haben sich die Tibeter gegen die chinesische Fremdherrschaft erhoben.
Lobsang Gyaltsen, der Bürgermeister von Lhasa, sagte laut "China Daily": "Die Eisenbahn wird moderne Konzepte und Lebensweisen nach Tibet bringen, aber dies sollte keine Gefahr für den Glauben der Menschen darstellen." Der Bürgermeister hat Recht: Die Gefahr kommt nicht von der Bahn.
Fünfzig Jahre lang hat die Kommunistische Partei vergeblich versucht, den Dalai Lama aus den Herzen der Menschen zu reißen. Die Tibeter ließen sich nicht mit Subventionen kaufen. Am Mittwoch, dem Jahrestag der "Befreiung", wurde der Dalai Lama in den Vereinigten Staaten von Präsident Bush empfangen - eine explosive Mischung, die wenig zu den angespannten sino-amerikanischen Beziehungen beitragen wird.
Der Dalai Lama, der für Tibet eine größere Autonomie, aber keine Unabhängigkeit fordert, flüchtete 1959 nach einem missglückten Aufstand nach Indien. Im letzten Jahr tat es ihm die dritthöchste Persönlichkeit im tibetischen Buddhismus, der Karmapa Lama, gleich. Peking wollte den jungen Geistlichen zu einem pro-chinesischen Führer formen.
Für diesen Zweck bleibt nur noch der zweithöchste Würdenträger, der Panchen Lama, den es in einer von Peking und in einer vom Dalai Lama bestimmten Reinkarnation gibt. Letzteren hält Peking versteckt. Trotzdem finden sich Bilder von ihm, dem Karmapa und dem Dalai Lama in den Häusern der Tibeter, auch wenn sie das eine Buße kosten kann. Manche landen wegen ihrer Überzeugung im Gefängnis.
Endstation Lhasa
Der Abt des Klosters Nubzur in Kardze wurde 1996 verhaftet, weil er bei den Behörden brieflich gegen die Ausbeutung einer Goldmine in der Nähe des Klosters und den Einfluss der dafür eingewanderten chinesischen Arbeiter protestierte. Wie das "Tibet Information Network" berichtete, wurde Kabukye Rinpoche zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Abt hat früh ein Problem erkannt, das für die Existenz der tibetischen Kultur gefährlicher sein könnte als die Unterdrückung des Glaubens: die Einwanderung von Han-Chinesen. In Lhasa und anderen tibetischen Städten dominiert bereits die Han-Kultur mit Karaokehallen und Nudelständen. Nun soll auch den ländlichen Gebieten der chinesische Stempel aufgedrückt werden.
Die Bahnlinie wird diesen Trend beschleunigen, indem sie die Migranten direkt in das Herz Tibets bringt. Nach offiziellen Angaben soll ein Großteil der Bevölkerung Tibeter sein. Doch wie lange noch? Ihnen droht das gleiche Schicksal wie allen Minderheiten in China: fremd im eigenen Land und zur Touristenattraktion degradiert. Endstation Lhasa.