Finanzierbarkeit des Sozialsystems stellt laut Experten geringe Probleme dar.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Jene Prognosen von Demografen, die regelmäßig die zunehmende Alterung der Gesellschaft problematisieren, sorgen ebenso regelmäßig wie verlässlich für alarmistische Wortmeldungen zur künftigen Finanzierbarkeit des Pensionssystems. Dass eine höhere Lebenserwartung ein prinzipiell erfreulicher Umstand ist, tritt in der öffentlichen Debatte meist in den Hintergrund.
Ein ganz und gar nicht apokalyptisches Szenario entwirft nun der vom Sozialministerium vorgelegte Sozialbericht. Obwohl die Anzahl der über 65-Jährigen seit 1995 um 24 Prozent angestiegen ist und diese Altersgruppe 18 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist die Sozialquote in diesem Zeitraum nahezu unverändert geblieben. Sie lag laut Bericht im Vorjahr bei 28,4 Prozent (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) gegenüber 28,8 Prozent im Jahr 1995.
Alterung der Gesellschaft wird entgegengewirkt
Einen signifikanten Anstieg gab es lediglich in den Krisenjahren 2009 und 2010 auf mehr als 30 Prozent, seither ist die Sozialquote wieder rückläufig. Die Wirtschaftskrise hat damit in nur einem Jahr einen genauso hohen Anstieg verursacht wie die demografische Entwicklung in 18 Jahren. "Wir sind zwar sehr wohl mit einem demografischen Problem konfrontiert, aber das hat Eingang in die Sozialpolitik gefunden", sagt Studienautor Hans Steiner vom Sozialministerium.
Mit diversen Konsolidierungsmaßnahmen wird seit Jahren der Alterung der Gesellschaft entgegengewirkt, erklärt Steiner. Beispielsweise lagen die Pensionsanpassungen in den Jahren 1995 bis 2000 unter der Inflationsrate, der Anteil der Ausgaben für Invaliditätsleistungen sank kontinuierlich, dafür stieg die Anzahl der älteren Menschen in Beschäftigung überdurchschnittlich.
Die mit Ausnahme der Krisenjahre recht konstant gebliebene Sozialquote ist auch insofern bemerkenswert, da die Pro-Kopf-Ausgaben für Personen über 65 Jahren sechsmal höher sind als für Menschen im erwerbstätigen Alter. Sie beziehen nicht nur Pensionen, sondern verursachen pro Kopf auch dreimal so hohe Ausgaben im Gesundheitsbereich.
Leistbarer Anstieg der Sozialquote
Diese Tatsache ist das Hauptargument sozialpolitischer Kassandrarufer, die das Sozialsystem aufgrund der demografischen Entwicklung kurz vor dem Zusammenbruch wähnen. Doch der Sozialbericht entwirft eine weitaus optimistischere Zukunftsprognose. Selbst wenn sich die Alterung der Gesellschaft bis 2030 fortschreibt, käme es nach Ansicht des Ministeriums zu keinem unleistbaren Anstieg der Sozialquote - vorausgesetzt, Österreich bleibt ein Negativwachstum seiner Wirtschaft erspart.
Hans Steiner kalkuliert die jährlichen alterungsbedingten Zusatzkosten für das Sozialsystem mit 0,4 Prozent des BIP, trotz Krise ist Österreichs Bruttoinlandsprodukt aber in den vergangenen 20 Jahren jährlich um durchschnittlich zwei Prozent gewachsen. Doch selbst bei einer eher pessimistischen Annahme des Produktivitätsfortschritts (1,65 Prozent jährliches Wachstum) würde es bis 2030 nur zu einem Anstieg der Sozialquote um 3,1 Prozentpunkte kommen. "Ich glaube, das ist keine dramatische Entwicklung", sagt Steiner.
Auch andere Experten für Sozialpolitik sehen keinen Grund für alarmistische Prognosen. Herbert Walther, Professor für Arbeitsmarktpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien, ortet hinter den dramatisierenden Annahmen vielmehr eine andere Motivation: "Man möchte im Dienste der Privatversicherungen Angst vor der Zukunft schüren", sagt Walther.
Private Pensionsfonds kein Allheilmittel
Die Krise habe aber gezeigt, dass diese Form der Pensionsvorsorge - Stichwort: Drei-Säulen-Modell - volks- wie finanzwirtschaftlich problematisch sei. "Das geht, wenn ein kleines Land wie die Schweiz das macht. Aber nicht, wenn es alle machen", sagt Walther. Dann nämlich würden sich die privaten Pensionsfonds wieder blähen, in Wertpapiere investieren und die nächste Finanzblase evozieren.
"Ein anderer Punkt ist aber, wie viel man insgesamt für Pensionen ausgibt und wie viel für andere Bereiche wie Infrastruktur oder Forschung und Entwicklung", sagt Walther. Im EU-Vergleich hat Österreich mit einer Pensionsquote von 16 Prozent am BIP eine recht hohe, aufgrund der demografischen Entwicklung wird diese weiter steigen. "Es ist eine politische Frage, ob man das Geld für Bildung ausgeben soll oder - polemisch gesagt - für nach Mallorca reisende Pensionisten. Das ist der Knackpunkt", sagt Walther. Für jetzige und zukünftige Pensionsempfänger werde es wichtig sein, glaubt Walther, wofür die bei ihnen eingesparten Mittel verwendet werden sollen. "Geht das Geld an die Hypo-Alpe-Adria-Bank oder sind es produktivitätsfördernde Investitionen?"
Dass Sozialleistungen auch tatsächlich die Wirtschaft fördern, geht ebenfalls aus dem Bericht hervor, in dem explizit auf die positive wirtschaftspolitische Funktion von Sozialausgaben hingewiesen wird, und zwar gerade in Zeiten der Krise. "Sie stabilisieren die Kaufkraft", erklärt Steiner. Sozialleistungen würden günstigere Voraussetzungen schaffen, um eine rezessive Wirtschaft wieder zu beleben. Ein Wirtschaftswachstum ist wiederum Voraussetzung für die Finanzierbarkeit der Sozialausgaben.