Keine einheitliche Linie in der CDU. | Wahlprogramm beschlossen. | Berlin. Steuern anheben, Steuern senken. Je nachdem, welchen CDU-Politiker man gerade interviewt, muss man - wenige Wochen vor der Bundestagswahl - mit jeder Antwort rechnen. Das schadet natürlich der Wahlkampfführung und könnte den derzeit noch bestehenden Abstand zur SPD von 18 Prozent rasch schrumpfen lassen. Losgetreten wurde die Debatte von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Günther Öttinger (CDU), der in der Vorwoche eine Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel etc. von derzeit 7 auf 9,5 Prozent ins Gespräch gebracht hatte.
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Der Zeitpunkt für diesen Vorstoß hätte ungünstiger nicht ausfallen können, befand sich doch die Bundes-CDU gerade in einer heftigen Debatte über den Zeitpunkt künftiger Steuersenkungen mit ihrer Schwesterpartei, der bayerischen CSU, die unbedingt einen konkreten Zeitpunkt in das gemeinsame Wahlprogramm schreiben wollte.
Noch während das von Öttinger entzündete Feuer von der Berliner Parteispitze totgetreten wurde überraschte der Landesvater von Sachsen-Anhalt, Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (gleichfalls CDU) mit dem Vorstoß, man könne doch auch den Spitzensteuersatz erhöhen und damit etwas für die Staatsfinanzen und die soziale Gerechtigkeit gleichzeitig herausholen. Kanzlerin Merkel weilte unterdessen in Washington, um US-Präsident Obama einen offiziellen Besuch abzustatten.
Mittelschicht empört
Die Befürchtung in CDU-nahen Kreisen ist nun, dass sich eine auf der Siegerstraße befindliche Partei drei Monate vor der Wahl selbst in den Graben fahren könnte. Die SPD könne sich derweilen ins Fäustchen lachen, fiele ihr doch diese gebratene Wahlkampftaube ins offene Maul, heißt es. In der Tat löste insbesondere Öttingers Vorstoß wütende Empörung bei den kleinen und mittleren Bevölkerungsschichten aus, die von der Erhöhung der Mehrwertsteuer unmittelbar betroffen wären. Doch der SPD sind die Hände gebunden, hat doch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) Steuersenkungen für die nächsten vier Jahre kategorisch ausgeschlossen.
Öttinger und Böhmer, die ihre Demarchen vorsichtig zurücknahmen, machten durch ihr Fernbleiben von der gemeinsamen Vorstandssitzung der beiden Unions-Schwestern am vergangenen Sonntag den Weg frei für die reibungslose und einstimmige Beschlussfassung über das gemeinsame Wahlprogramm. Darin werden Steuererhöhungen jeglicher Art für die nächste Legislatur dezidiert abgelehnt und "moderate Entlastungen" (Angela Merkel) in Aussicht gestellt. An beiden Enden sollen Steuern gesenkt werden: Beim Eingangssteuersatz von 14 auf 12 Prozent und beim Spitzensatz erst ab 60.000 Euro (statt heute 52.000). Die "kalte Progression" (Abschöpfung von Einkommenszuwächsen) und der "Mittelstandsbauch" sollen gemildert werden. Die Union erhofft sich dadurch eine Belebung der Binnenkonjunktur.