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Trotz Skandalen vertrauen Amerikaner ihrer Demokratie

Von Laszlo Trankovits

Politik

Kaum Änderung in Wahlbeteiligung. | Politiker verlieren an Glaubwürdigkeit. | Washington. (dpa) Die über 200 Jahre alte Demokratie in den USA ist auch eine unendliche Geschichte von Skandalen, Korruption, Amtsmissbrauch und krassen Fehlentscheidungen. Bei den Stichworten Vietnam, Watergate und Lewinsky oder Irakkrieg und Abramoff (der Lobbyist, der vor allem Republikaner bestach) seufzen nicht nur Liberale über all die Machenschaften und Wirrnisse im Innenleben der Weltmacht USA. Der Zorn auf Präsidenten, Senatoren und Abgeordnete ist gerade derzeit groß: Umfragen signalisieren einen dramatischen Vertrauensverlust in die Politikerklasse.


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"Vor allem wenn Politik zum eigenen Nutzen missbraucht wird, wenn die Glaubwürdigkeit verloren geht, reagieren die Menschen heftig", meint John Hibbing, Professor an der Universität Nebraska. Dennoch kann von einem Überdruss der Amerikaner an der Demokratie kaum gesprochen werden.

Politologen und Historiker verweisen auf die Konstanten in der Wahlbeteiligung über die vergangenen Jahrzehnte. Zudem spielen Extremisten und Radikale keine Rolle.

System begünstigt

geringe Beteiligung

"Die Amerikaner vertrauen grundsätzlich dem System", betont Professor Charles Jones vom konservativen Brookings Institut in Washington. Das vergangene Jahrzehnt sei zwar von "Polarisierung und wachsender Feindseligkeit der Parteien" geprägt gewesen. Das Engagement der Amerikaner an der Politik sei historisch betrachtet aber unverändert.

Zwar liegt die Wahlbeteiligung bei Präsidentenwahlen im Durchschnitt bei nur etwa 56 Prozent (2004: 61 Prozent), die bei Kongresswahlen bei rund 40 Prozent. Dies sei aber auch den Besonderheiten des US-Systems zu verdanken: der umständlichen WählerRegistrierung, der wachsenden Zahl von Strafgefangenen oder Illegalen, die ohne Wahlrecht sind, erklärt Professor Michael McDonald (George Mason Universität) in der "Washington Post".

Als weitere Ursache gilt die hohe Wiederwahl-Wahrscheinlichkeit von Amtsinhabern. Über 90 Prozent der Abgeordneten und 80 Prozent der Senatoren wurden im Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte wiedergewählt. In bevölkerungsreichen Staaten wie New York oder Kalifornien, wo die Sieger festzustehen scheinen, gehen viele gar nicht erst zur Wahl.

Eine Ursache für diese Entwicklung ist auch die Möglichkeit der Parteien, Wahlkreise ständig neu zuzuschneiden. Ursprünglich sollte diese Option der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung Rechnung tragen. Heute nutzen das Parteien, um sich Wahlkreise mit einer möglichst homogenen Wählerschaft zurechtzuschustern.

"Die Mutter aller Mythen über Wahlbeteiligung ist ihre Abhängigkeit von einer Politikmüdigkeit", meint McDonald. Eine Studie der Harvard-Universität zeigt, dass selbst die Jungwähler (zwischen 18 und 24 Jahren) wachsendes Interesse an Politik haben: Immerhin 32 Prozent wollen nun wählen. Dies sei "sehr beachtlich" meinte der "Christian Science Monitor" angesichts "einer Generation, die zu 93 Prozent keine Zeitungen liest und Comedy-Shows als wichtigste Informationsquelle hat".

Die zwei großen

Parteien dominieren

Den Parteien der Demokraten und Republikaner ist es bis heute gelungen, die US-Politik zu beherrschen - ohne allerdings als Parteien tatsächlich viel Macht zu haben. Denn Parteidisziplin oder Fraktionszwang sind in den USA fast unbekannt, es gibt keine Listenwahlen, gewählt werden nur Personen. Unabhängige Kandidaten oder gar dritte Parteien "haben es dennoch extrem schwer, ... die (etablierten) Parteien verstehen es, Außenseiter entweder zu vereinnahmen oder sie abzudrängen", erklärt Jones.

Geändert hat sich das soziale Gefüge der US-Volksvertreter: Unter den 100 Senatoren und 435 Abgeordneten sitzen heute mehr Frauen (83), Schwarze (43) und andere ethnische Minderheiten (38) als je zuvor.

Die größte Berufsgruppe sind noch immer Juristen (274), auch wenn die Zahl der Geschäftsleute und Manager mit fast 200 deutlich zugenommen hat. Erst an dritter Stelle kommen Beamte und Funktionäre. "Farmer, Gewerkschafter und Arbeiter sind unterrepräsentiert", so Hibbing.

Geld hilft, entscheidet aber nicht alles

Vor allem aber ist die US-Politik auch ein Tummelplatz für Wohlhabende bis hin zu Milliardären. Schwerreiche Politiker wie Michael Bloomberg (der New Yorker Bürgermeister) oder John Kerry und Jay Rockefeller (beides Senatoren) sind keine Seltenheit.

Geld spielt eine enorme Rolle, inzwischen auf allen Ebenen, betont Hibbing. Eine Million Dollar (787.278 Euro) koste der Wahlkampf eines Abgeordneten, bei den Senatoren reichten oft zehn Millionen Dollar nicht aus. Vor allem die wichtigen Fernsehspots verschlingen viel Geld, das jeder Kandidat bei Anhängern und Gönnern sammeln muss. Mit zwei Milliarden Dollar wurden in die gestrigen Kongresswahlen 400 Millionen Dollar mehr als in den Wahlkampf 2004 gesteckt. Kaufen allerdings lasen sich Wahlsiege kaum: Legendär ist die Pleite des kalifornischen Milliardärs Al Checchi, der 1998 mit 40 Millionen Dollar gegen Gray Davis (neun Millionen) bei der Gouverneurswahl verlor. Auch Ross Perots Milliarden ebneten ihm nicht den Weg ins Weiße Haus. Bei der Präsidentschaftswahl 2004 war John Kerry der Krösus - und George W. Bush der Sieger.