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Trotzdem im Regal

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Wirtschaft
Obst und Gemüse, das nicht der optischen Norm entspricht, wird von Supermarktketten aussortiert. Das muss nicht sein, fand ein Franzose - und reagierte.

Start-up-Gründer Chabanne verkauft Obst und Gemüse, das nicht makellos aussieht und deshalb im Müll landen würde, zum Sonderpreis - und hat damit in Frankreich großen Erfolg.


Paris. Besonders rührend sind die beiden Teile einer verwachsenen Karotte, die aussehen wie ein Menschenpaar, das sich umschlingt. Hübsch erscheint auch die Kartoffel mit Herzform oder die Aubergine, von deren rundem Bauch zwei Auswüchse wie Arme abstehen. Doch solche Spielereien der Natur sind zwar amüsant - aber normalerweise nicht verkäuflich. Zumindest galt das, bis der Unternehmer Nicolas Chabanne kam: Bei seinem Start-up "Les Gueules Cassées", was sich übersetzen lässt mit "Die kaputten Visagen", kommt auch kurios verformtes Obst und Gemüse auf Werbeplakate und in die Regale der Supermärkte, anstatt aussortiert zu werden.

Seit der 45-jährige Franzose vor einem Jahr gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Renan Even seine Idee umgesetzt hat, die sie mithilfe von Crowdfunding finanzierten, verzeichnet er einen beachtlichen Erfolg: Innerhalb von acht Monaten wurden mehr als 10.000 Tonnen schief gewachsenes Obst und Gemüse unter dem Siegel "Les Gueules Cassées" verkauft. Chabanne verspricht den Käufern einen Preisnachlass von mindestens 30 Prozent, während die Handelstreibenden sich nicht um die Entsorgung von bisher unverkäuflicher Ware kümmern müssen, die sie stattdessen noch an den Kunden bringen.

Inzwischen arbeitet das Start-up mit mehr als 5000 Supermärkten zusammen, darunter den Branchenriesen Carrefour, Leclerc, Monoprix, Franprix, Casino und Spar. Das große Echo habe sie selbst erstaunt, sagt Chabanne, der bereits 2009 bei der Gründung des Siegels "Le Petit Producteur" ("Der kleine Produzent") beteiligt war, mit dem kleinere Landwirte unterstützt werden und das sich ebenfalls als Erfolgskonzept herausgestellt hat: Es geht auch um Sensibilisierung der Kunden, die wissen sollen, woher eigentlich die Produkte stammen, die sie essen, wer und zu welchen Konditionen sie herstellt.

Nahrungsmittelverschwendung ist auch in Frankreich ein großes Thema. Immer wieder machen Initiativen oder auch Supermärkte, die damit ihr Image aufbessern können, auf das Problem aufmerksam, doch meist blieben sie lokal oder zeitlich begrenzt. Infolge einer Bürger-Petition beschloss das Parlament im Mai ein Verbot für große Handelsketten, nicht verkaufte Lebensmittel wegzuwerfen oder unkonsumierbar zu machen; stattdessen müssen sie sie an karitative Vereinigungen spenden.

Konzept weckt inzwischen internationales Interesse

Dass weltweit bis zu 40 Prozent der Lebensmittel, die für den Konsum hergestellt werden, nie zu den Kunden gelangen, findet Chabanne skandalös. Allein in Frankreich seien das jedes Jahr 17 Millionen Tonnen Essen. "Wenn eine Tomate nicht perfekt rund ist oder eine Gurke ein bisschen zu krumm, wird sie aus den Regalen genommen, obwohl sie Topqualität hat", so der Co-Firmenchef. Überrascht habe ihn das große internationale Interesse an "unserer kleinen französischen Lösung": Kollegen aus 17 Ländern von Japan über die USA bis Brasilien seien inzwischen gekommen, um das Konzept kennenzulernen und teilweise ebenfalls einzuführen.

Der Ausdruck "gueules cassées" bezeichnete ursprünglich die entstellten Gesichter der Soldaten, die verwundet aus dem Ersten Weltkrieg zurückkamen. Dieser Name und das Logo eines verwachsenen Apfels mit breitem Grinsen und Zahnlücke brachte der Geschäftsidee den entscheidenden Kick, sagt Chabanne: "Wir versuchten es zunächst mit kleinen Etiketten für verwachsenes Obst und Gemüse, auf denen stand ‚Auch wenn ich nicht perfekt bin, schmecke ich genauso gut‘. Aber das reichte nicht. Es brauchte eine Marketing-Idee." Und als diese geboren war, zogen die Kunden sofort mit.

Diese können im Internet einen vorformulierten Brief mit der Forderung nach dem Verkauf von "hässlichem" Obst und Gemüse herunterladen, unterschreiben und ihn ihrem Supermarkt vorlegen, um Druck zu machen. Die Initiative umfasst auch Produkte, deren Verfallsdatum naht und die nur deshalb oft und nur teilweise noch gespendet werden. Sie erhalten eine Kennzeichnung und einen Sonderpreis. Vertrieben werden künftig außerdem auch Cornflakes, deren "Fehlbildungen" oftmals nicht einmal erkennbar sind, sowie verformter französischer Camembert, von dem laut Chabanne bereits 450.000 Packungen vor dem Mülleimer gerettet wurden. Denn egal, wie der Weichkäse aussieht - Hauptsache, er stinkt ordentlich.