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Europa steckt in einer Wirtschaftskrise: Nicht zum ersten Mal beschäftigen sich die Teilnehmenden an den Alpbacher Reformgesprächen mit dem schwachen Wachstum der Europäischen Union. Doch die Bilanz fiel heuer noch ernüchternder aus als in den Vorjahren.
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So trüb waren die Aussichten selten. Dichte Wolkenschwaden und Regen drückten auf das Tiroler Bergdorf Alpbach, wo bis Ende August an die 500 Referenten und 2.800 Gäste am 61. Europäischen Forum teilnehmen. Dass dieses je bei Schlechtwetter eröffnet werden musste, daran konnte sich auch der Alpbacher Pfarrer nicht erinnern. Dem Wetter angepasst schien auch das Thema des ersten Tages der Reformgespräche: Auf die Frage "Hat Europas Wirtschaft eine Zukunft?" hatten die Referenten fast durchwegs pessimistische Antworten. Und das liege nicht zuletzt am bisher fehlgeschlagenen Lissabon-Prozess, der die EU bis 2010 zum wettbewerbsstärksten Wirtschaftsraum der Welt machen sollte.
Am schärfsten formulierte es Daniel Thorniley von der Economist Group: Nein, Europas Wirtschaft habe keine Zukunft. Schon die letzten fünf Jahre seien verschwendet worden, und für die kommenden fünf werde lediglich ein Wachstum von 1,5 bis 1,8% prognostiziert - bei einem Wachstum der Weltwirtschaft in Höhe von 3%. Der Abstand zu den USA werde größer statt kleiner.
Daher müsse etwa auch die Europäische Zentralbank ihre Politik ändern und insgesamt mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden statt für Landwirtschaft - wie unter anderem vom französischen Staatspräsident Jacques Chirac gefordert.
Auf Positives wollte der bis 2004 für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissar Mario Monti verweisen. Immerhin sei der Vergleich zwischen Europa und den USA noch vor zehn Jahren noch wesentlich ungünstiger für die EU ausgefallen. Die USA hatten einen Binnenmarkt, eine einheitliche Währung, ihre Westausdehnung bereits hinter sich sowie eine Verfassung. Dreieinhalb dieser Schritte hat die EU mittlerweile nachvollzogen: Binnenmarkt, Euro-Einführung, Osterweiterung und Entwurf für eine Verfassung. So gebe es nun drei Bereiche, in denen die USA die EU "auf Augenhöhe" betrachten: in der Handels- und Wirtschaftspolitik sowie in der Währungspolitik.
Auch Monti sieht den Stand des Lissabon-Prozesses zwar "nicht unbedingt als Erfolgsgeschichte", plädierte aber dennoch dafür, optimistisch an das Thema heranzugehen. Die derzeitige EU-Krise bezeichnete er als "nicht verwunderlich". Dass Europa nach "den Anstrengungen" "müde" sei, sei zwar nicht erfreulich, aber verständlich: "Die gesamte Energie wurde auf den Wachstumsprozess verwendet."
Die Frage, ob das europäische Modell konkurrenzfähig sei, stellte auch Karl Aiginger, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) in den Raum. Als positive Beispiele führte er Schweden, Finnland und Dänemark an, reformierte Wohlfahrtsstaaten mit einem Wirtschaftswachstum über dem EU-Schnitt.
Ob andere Länder gleichziehen könnten, hänge nicht zuletzt von den nationalen Aktionsplänen ab, meinte Aiginger. Bis Oktober sollen die EU-Staaten jeweils ihre eigenen Programme für mehr Wachstum und Beschäftigung vorlegen. Danach komme es auf die Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung an - an der es etlichen Regierungen bisher mangelte. Denn nur eine effiziente Wirtschaft könne auch sozial und ökologisch sein, zeigte sich Aiginger überzeugt.
Um dem in Österreich näher zu kommen, fordert die Wirtschaftskammer mehr Anreize für Innovationsfähigkeit, Entbürokratisierung und Weiterbildung. So wünscht sich Präsident Christoph Leitl ein "Marktreifepaket", mit dem speziell kleinere Unternehmen dabei unterstützt werden sollen, Innovationen rasch am Markt umzusetzen. Darüber hinaus will er mehr Engagement von Bund und Ländern bei der Weiterbildung, deren Kosten derzeit großteils von Betrieben und Arbeitnehmern getragen werden.
Laut Leitl soll das Wifo im Auftrag der Sozialpartner ein "Weißbuch" für die österreichische Wirtschaft mit einem mittel- und langfristigen Zeithorizont vorbereiten und so Maßnahmen der österreichischen Wirtschaftspolitik erarbeiten. Diese sollten dann - konsensual und zumindest teilweise umgesetzt werden - unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation. Denn, und da sind die Wirtschafstreibenden und der Wirtschaftsforscher einig: Österreich braucht dringend einen kräftigen Schub in Sachen Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit. "Die Aufgabe wäre es, das durchzubekommen, aber ohne Krise, wie es sie in den skandinavischen Staaten gegeben hat", so Aiginger.