Kanadas Premier soll bei seiner Justizministerin für die größte Baufirma des Landes interveniert zu haben.
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Ottawa. Auf internationaler Bühne gilt Justin Trudeau als Lichtgestalt. Der kanadische Premierminister ist eloquent und charmant, er legt Bedacht auf seine fortschrittliche Agenda und seine jugendlich-flotte Aura. Trudeau sieht sich als Gegenpol zu Donald Trump, dem polternden Präsidenten des Nachbars USA.
Doch Trudeaus internationaler Glanz färbt nur noch bedingt auf seine Popularität zu Hause ab. Gut ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl im Oktober ist seine Wiederwahl keineswegs gesichert: In den meisten aktuellen Umfragen liegen Trudeaus Liberale gleichauf mit den oppositionellen Konservativen, auch seine persönlichen Werte sind bestenfalls noch mittelprächtig.
Nun ist Trudeau auch noch in einen handfesten Skandal verstrickt, der ihn zusätzlich angreifbar macht und eine mögliche zweite Amtszeit des Regierungschefs akut gefährden könnte. Im Raum stehen Vorwürfe von Lobbyismus und Günstlingswirtschaft sowie mögliche ethische Verfehlungen des Premiers beziehungsweise seiner Mitarbeiter in der Staatskanzlei in Ottawa.
Konkret geht es um einen Vorfall im Herbst, den nun die Zeitung "Globe and Mail" publik gemacht und der sich zur bisher größten politischen Krise Trudeaus ausgeweitet hat. Seine Ex-Justizministerin Jody Wilson-Raybould trat deswegen am Dienstag im Streit mit Trudeau von ihren Regierungsämtern zurück. Der Ethikbeauftragte Kanadas leitete ein Untersuchungsverfahren gegen Trudeau ein.
Die Institution SNC-Lavalin
Laut der Zeitung sollen Mitarbeiter Trudeaus im vergangenen Jahr Wilson-Raybould gedrängt haben, einen Strafprozess gegen die skandalumwitterte kanadische Baufirma SNC-Lavalin wegen Betrugs und Bestechung abzuwenden. Nachdem die Ministerin abgelehnt habe, entsprechenden Druck auf die ihr unterstellten Staatsanwälte auszuüben, sei sie im Jänner schließlich auf den weniger einflussreichen Posten als Veteranenministerin abgeschoben worden.
SNC-Lavalin ist in Kanada eine Institution und größte Baufirma des Landes. Sie steht aber schon seit Jahren wegen Bestechungsvorwürfen in Millionenhöhe am Pranger. Die Firma sitzt in der Provinz Quebec, in der Trudeau seinen Wahlkreis hat, und der bei der Wahl laut eine entscheidende Bedeutung zukommen dürfte. Derzeit steckt das Unternehmen, das in Kanada rund 10.000 Mitarbeiter beschäftigt, in der Krise.
Ein drohender Schuldspruch für SNC-Lavalin wegen Betrugs hätte laut kanadischem Recht zur Folge, dass die Firma für zehn Jahre von allen öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wäre, was tausende Entlassungen in Québec nach sich ziehen würde.
Trudeau bestreitet, seiner ehemaligen Ministerin Anweisungen gegeben zu haben. "Unsere Regierung übt ihren Job ordentlich und gemäß aller Vorschriften aus." Zu der Frage, ob sein Büro Druck ausübte, hat sich der Premier aber nur ausweichend geäußert.
Verstöße des Saubermanns
Wilson-Raybould hat auf Verweis auf ihre gesetzliche Schweigepflicht bisher jede Stellungnahme verweigert. In ihrem Demissionsschreiben betonte sie aber, sie sei seinerzeit angetreten, weil sie Politik "anders machen wollte". Im Jänner hatte sie in einer Erklärung zu ihrer Versetzung rechtsstaatliche Verfahren angemahnt und auf die Unabhängigkeit ihres Amtes gepocht.
Der angesehene Ethikbeauftragte des kanadischen Parlaments, Mario Dion, hat eine Untersuchung eingeleitet. Er sieht Anhaltspunkte dafür, dass Trudeau gegen die strengen Anti-Korruptions-Regeln Kanadas verstoßen haben könnte. Diese verbieten es Politikern, unlauteren Einfluss zu nehmen, um damit Dritten einen privaten Vorteil zu verschaffen.
Zu den Anhörungen soll auch die ehemalige Justizministerin Wilson-Raybould geladen werden. Diese hat mittlerweile einen ehemaligen obersten Richter Kanadas als Rechtsbeistand angeheuert, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie ihre Version der Vorkommnisse preisgibt.
Politisch folgenschwer für Trudeau ist der Verdacht, weil das Verfahren die Glaubwürdigkeit des Premiers erneut in Frage stellt. Trudeau war 2015 als Saubermann mit dem Versprechen angetreten, dem Lobbyismus in der Politik Einhalt zu gebieten. Seitdem hat der Ethikbeauftragte bereits fünf Mal gegen die Regierung ermittelt und dabei in mindestens zwei Fällen Verstöße festgestellt.
Das prominenteste Vergehen betraf Trudeau selbst. Im Dezember 2017 war der Premier wegen eines Familienurlaubs auf der Privatinsel des Aga Khan in der Karibik gerügt worden, weil er damit private und politische Belange vermengt hatte. Die Stiftung des Aga Khan wird in Kanada mit Steuergeldern gefördert. Trudeau hatte sich mit einem Privathubschrauber des Milliardärs auf die Insel fliegen lassen, was der Beauftragte als Interessenkonflikt gewertet hatte.
Konservative orten "Chaos"
Bei vielen Kanadiern verstärken die Vorfälle den Eindruck, der Premier und seine Regierung seien käuflich. Bekräftigt fühlen sich auch all jene Kritiker, die Trudeau schon seit längerem vorhalten, er sei ein abgehobener Emporkömmling aus einflussreicher Familie - Vater Pierre war ebenfalls Premierminister - und habe die Bodenhaftung verloren.
Die Opposition in Ottawa will die Vorfälle von einem Ausschuss des Parlaments untersuchen lassen. Andrew Scheer, Vorsitzender der Konservativen, spricht von einer "Regierung im Chaos". Man kann davon ausgehen, dass es Scheer mit der Aufarbeitung des Skandals im Parlament nicht sonderlich eilig haben wird. Je länger sich die Aufklärung hinzieht, desto verstörter dürfen die kanadischen Wähler reagieren - und am Ende könnte Justin Trudeau tatsächlich sein Amt verlieren.