Monatelang hielt die Protestbewegung Frankreich in Atem - inzwischen erscheint sie erschlafft. Doch ein Wiederaufbäumen ist nicht ausgeschlossen, bleiben viele Probleme im Land doch ungelöst.
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Paris. Die Samstage in Paris haben sich wieder normalisiert. Geschäfte schließen derzeit höchstens wegen der Sommerferien, aber nicht mehr aus Sorge, bei Demonstrationen ins Visier von Randalierern zu geraten. Polizisten und Journalisten schieben nicht mehr nervös Wochenend-Sonderdienste, immer einsatzbereit für den Fall einer Eskalation. Auf den Champs-Élysées sind wieder überwiegend Touristen statt aufgebrachte Demonstranten unterwegs.
Einige Unentwegte sind übrig
In gelben Warnwesten als Erkennungszeichen machten sie im Winter und Frühjahr immer samstags zunächst an Verkehrskreiseln im ganzen Land, später an symbolträchtigen Orten in den großen Städten ihrem Ärger auf die französische Regierung und die soziale Ungleichheit Luft. Ein paar Unermüdliche finden sich zwar noch zusammen und versuchen, das Gefühl der Solidarität untereinander und den Widerstand aufrecht zu erhalten.
Am Wochenende waren es einige hundert in mehreren französischen Städten wie Bordeaux und Toulouse; in Montpellier bepinselten sie den Sitz eines Abgeordneten der Regierungspartei LREM, Patrick Vignal, mit gelber Farbe: Er erklärte daraufhin, er werde Klage einreichen und das Gebäude nicht reinigen, "um allen Bewohnern zu zeigen, dass die Gelbwesten die Diskussion ablehnen".
Der harte Kern der Bewegung kündigt neue Aktionen nach den Sommerferien an. Dennoch erscheint sie erschlafft - zumindest vorerst, denn die Ruhe ist trügerisch. Zu vieles liegt weiterhin im Argen in Frankreich und die Ursachen für die Wut sind keineswegs beseitigt.
Sie entstand aus einem immensen Misstrauen vieler Franzosen gegenüber der Politik und allen Institutionen. Befeuert wird es von der wachsenden Kluft zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern, zwischen der Elite und abgehängten sozialen Klassen, Stadt- und Landbewohnern.
Nicht umsonst war der Auslöser für den Protest die geplante - und dann wieder ausgesetzte - Erhöhung der Ökosteuer auf Kraftstoff. Sie hätte vor allem jene getroffen, die fernab der Metropolen auf ihre Autos angewiesen sind. Auch zog Präsident Emmanuel Macron besonders den Zorn auf sich, weil er als Absolvent von Elitehochschulen, Ex-Banker und rasant aufgestiegener Politik-Karrierist mit allzu selbstsicherem Auftreten "die da oben" vertritt, welche sich kaum für die Probleme der Normalbevölkerung interessieren.
Sprachrohr fehlt
Dieses Image hat sich nicht geändert, Macrons Beliebtheit kaum verbessert, auch wenn seine bisher schwerste politische Krise vorerst überwunden scheint. Die heutige Schwäche der "Gelbwesten" erklärt sich zum einen daraus, dass sie Probleme aufzeigten und benannten, nicht aber deren Lösungen - was ja auch nicht die Aufgabe von Bürgern ist. Eine Führungsfigur fehlte, die ihre disparaten Anliegen unmissverständlich äußern und in konstruktivem Dialog mit der Regierung vertreten konnte.
Genau ein solches Sprachrohr hatte die Bewegung zugleich stets abgelehnt, die dezentral organisiert und in den sozialen Netzwerken entstanden war. Weil die meisten nicht Teil des verhassten "Systems" werden wollten, scheiterten die drei Listen von "Gelbwesten"-Vertretern, die bei der Europawahl kandidierten, krachend.
Zum zweiten ließ infolge der Gewalt am Rande der Demonstrationen die Unterstützung der öffentlichen Meinung mit der Zeit nach. Sie aber war maßgeblich für die enorme Aufmerksamkeit für die Bewegung, die sich zahlenmäßig stets in Grenzen hielt. Darüber hinaus nahm ihr Präsident Macron mit der Organisation von Bürgerdebatten, sozialen Zugeständnissen und einer Reihe von Vorschlägen den Wind aus den Segeln, auch wenn diese keineswegs eine politische Kehrtwende aufzeichneten, sondern vielmehr die Bestärkung des von ihm eingeschlagenen Weges.
Angesichts einer Mehrheit in der Nationalversammlung und der starken Machtposition, die die französische Verfassung dem Präsidenten einräumt, kann Macron diesen weitergehen. Zumindest von der Opposition, die er durch seine Positionierung in der politischen Mitte dezimiert hat, ist wenig Gegenwind zu erwarten.
Heikle Reformen stehen bevor
Und von den "Gelbwesten"? Deren Bewegung wurde so unvorhersehbar schnell zu einem gesellschaftlichen und medialen Phänomen, das weit über die Grenzen Frankreichs hinaus von sich reden machte, dass sich eine Prognose darüber verbietet, ob sie dauerhaft erledigt ist. Im Herbst stehen heikle Reformen wie jene der Arbeitslosen- und Rentenversicherung an, welche den Widerstand neu anzufachen drohen. Ruhe im Land dürfte erst einkehren, wenn Macron beweist, dass seine Politik die wirtschaftliche und soziale Lage entscheidend verbessert und die Chancengleichheit erhöht.