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Trügerische Zahlen

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

Trotz guter Wirtschaftsdaten droht die niederländische Regierung bei den Wahlen abgestraft zu werden. Was weniger an Wilders liegt als an sozialem Elend.


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Amsterdam. "Die Krise ist vorbei, heißt es. Doch für uns nicht, und für sehr viele andere Niederländer auch nicht." Es war ein beklemmendes Fazit, das da unlängst im öffentlich-rechtlichen TV-Sender NOS gezogen wurde. Es stammt von einem Paar, das im Rahmen einer Serie von Wähler-Porträts vorgestellt wurde. Ein Paar mit zwei Jobs, drei Kindern und einem langjährigen Kampf gegen einen privaten Schuldenberg. Private Verschuldung ist ein zunehmendes Problem in den Niederlanden, und eng damit verbunden ist das Thema Armut. Im Februar gab die Statistikbehörde CBS bekannt, die absolute Anzahl in Armut lebender Menschen sei mit 1,2 Millionen stabil. Hartnäckige Armut aber, die einen Zeitraum von mindestens vier Jahren betrifft, nimmt zu. 2015 ging es um 221.000 Familien - eine Steigerung von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ob eine Milliarde Euro, die die Regierung voriges Jahr zur Bekämpfung hartnäckiger Armut investierte, diesen Trend ändern kann, muss sich erst zeigen.

Zahlen wie diese stehen im deutlichen Kontrast zu den ökonomischen Kerndaten: Der Haushalt verzeichnet erstmals seit der Wirtschaftskrise ein Plus, das Wachstum liegt seit 2015 um zwei Prozent und die Arbeitslosigkeit, 2016 so stark gesunken wie seit zehn Jahren nicht mehr, beträgt 5,4 Prozent. Die Krise auf dem Häusermarkt ist vorüber und selbst das Vertrauen der vorsichtigen niederländischen Konsumementen, vor wenigen Jahren noch historisch schlecht, ist im Aufwind. Keine schlechte Visitenkarte für eine Koalition, die nur unter der Prämisse der Austerität überhaupt zusammenfand.

Ärger über Ruttes Sparkurs

Natürlich liegt es an dieser Diskrepanz, dass die Umfragewerte der scheidenden Koalition denkbar schlecht stehen: Zwar hat die liberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) von Premier Mark Rutte, die aktuell gleichauf mit den Rechtspopulisten liegt, auch Chancen auf den Wahlsieg, doch droht ihr der Verlust von 16 ihrer 41 Parlamentssitze. Noch schwerer dürfte es die sozialdemokratische Juniorpartnerin erwischen, deren Basis die Teilnahme an der Rutte-Regierung mit ihrem milliardenschweren Sparkurs nie wollte. Aktuell würden ihr von 38 Abgeordneten nur 13 bleiben.

Wer sich auf sozio-ökonomischem Gebiet umschaut, sieht schnell, woher die miserablen Umfragewerte der Regierung kommen: Laut einer aktuellen Erhebung wollen 57 Prozent der Befragten zurück zum staatlichen Gesundheitssystem, das 2006 durch eines von konkurrierenden Versicherern ersetzt wurde - ganz im Sinn des Prinzips "mehr Markteffekt im sozialen Bereich", das zu Zeiten des Millenniumsoptimismus politisch maßgebend war. Darauf zurück geht auch ein Selbstbehalts-Sockel an Arztkosten, das umstrittene "eigene Risiko". 2008 lag dieser Betrag bei 150 Euro jährlich, 2017 bei 385. Mehrere Parteien, darunter die Rechtspopulisten, wollen den Selbstbehalt abschaffen.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus ein Eingeständnis, dass Premier Rutte zuletzt ankündigte, zwei Milliarden Euro in Pflegeheime zu investieren. "Jeder muss fühlen, dass es besser geht", ist denn auch einer der Slogans seines Wahlkampfs. Die Realität der Niederlande ist eine andere. Eine, in der etwa Mitglieder hoher Einkommensklassen 2015 mehr, Menschen aus niedrigen aber just weniger Geld ausgaben als noch im Jahr 2013.