Der US-Präsident hat eine Diskussion über Europa angestoßen. Die Europäische Union kämpft nach wie vor ums Überleben.
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Man kann zu US-Präsident Donald Trump stehen, wie man will - und er bietet wahrlich Anlass zu Kritik -, aber eines kann man ihm nicht absprechen: Er versteht es, Schlafende zu wecken. Mit ihrer Bierzeltrede und dem Peitschenknall, die USA seien kein verlässlicher Partner mehr, war Bundeskanzlerin Angela Merkel die Erste, die nach Trumps Europa-Visite aufgewacht ist. Die SPD spricht in Person von Außenminister Sigmar Gabriel den USA die Rolle als Führungsmacht ab, die FDP wiederum mahnt zur Mäßigung gegenüber dem Bulldozer aus Washington. Das politische Deutschland ist aus dem Schlaf der Selbstgefälligkeit aufgewacht, der Bundestagswahlkampf verspricht dank Themengeber Donald Trump doch noch interessant zu werden.
Der US-Präsident hat nichts Geringeres getan - ob gewollt oder nicht -, als eine Diskussion über Europa anzustoßen. Die deutsche Kanzlerin ergeht sich in schemenhafter Rhetorik, wenn sie anmahnt, dass die Idee eines geeinten Europa nur durch eine energische Herzmassage wiederzubeleben sei. Den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron hat sie sich zum Assistenten auserkoren.
Doch Macron hat kurz nach seiner Wahl schon deutlich gemacht, wie er sich eine Wiederbelebung des Patienten Europa vorstellt: Er will mehr Macht für Brüssel und eine Schuldenpolitik, die der deutschen diametral entgegensteht. Ob diese Ehe zwischen Paris und Berlin Europa-beglückend wirken wird, steht doch sehr im Schatten dunkler Vorbehalte in der deutschen Hauptstadt.
Dass es sich um Wahlkampfgetöse handeln könnte, um verlorenes Vertrauen durch Merkels Flüchtlingspolitik zurückzugewinnen, ist nicht auszuschließen, um nicht zu sagen: sehr wahrscheinlich. Die deutsche Außenpolitik hat bekanntlich ihre Ankerpunkte schwerpunktmäßig in den angelsächsischen Staaten. Deutschlands Stärke und Souveränität saugen aus diesen Verbindungen ihren politischen Honig. Die US-Seite hat hierbei flankierend den Frieden gesichert und prosperierend gewirkt. Das alles lässt sich nicht mal eben so beiseiteschieben.
CDU-Chefin Merkel hat zuallererst einmal im eigenen Interesse mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl gehandelt und nicht mehr. Sie hat dem Lordsiegel-Bewahrer europäischer Ambitionen und zugleich SPD-Herausforderer Martin Schulz das Thema vom Silbertablett gestohlen. Dessen Wahlkampf sackt jetzt auf das Niveau des Hinterher-Twitterns ab.
Doch der Patient EU hängt nach wie vor am Tropf und kämpft ums Überleben. Merkels Therapie beschränkt sich bis zur Wahl auf Unverbindlichkeiten. Trump hat ihr - sicherlich ungewollt - eine Steilvorlage gegeben, die sie bei geschicktem Taktieren in ein Siegestor verwandeln kann - wenn die Wähler ihr das Taktieren durchgehen lassen. Die Trumps dieser Welt haben etwas bewirkt, was nicht beabsichtigt war: Sie haben die Menschen politisiert. Rechtspopulismus, Erdoganismus, Putinismus und nun der Trumpismus mit ihren restriktiven Mechanismen treiben die Menschen in die Verantwortung. Und wenn sie Europa fordern, dann muss die Politik liefern.