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"Trump hat es auf Deutschland abgesehen"

Von Gerhard Lechner

Politik

Die Nato-Expertin Judy Dempsey über den sich immer größeren Graben zwischen Europa und den USA.


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"Wiener Zeitung": Im Vorfeld des Nato-Gipfels, der heute beginnt, hat US-Präsident Donald Trump die europäischen Staaten für ihre geringen Verteidigungsausgaben gerügt und dabei vor allem Deutschland hervorgehoben. Warum gerade Deutschland?

Judy Dempsey: Weil es die größte Wirtschaftsmacht in der EU ist und weil Deutschland relativ wenig Geld für Verteidigung ausgibt - nur 1,24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nach Ansicht Trumps sollte Deutschland für die eigene Sicherheit viel mehr Geld ausgeben. Das ist das eine. Das andere ist, dass es zwischen Trump und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf persönlicher Ebene ein großes Problem gibt. Trump hat es offensichtlich auf Deutschland abgesehen. Er kritisiert Berlin, wo immer es möglich ist, etwa beim Export von Autos - obwohl ja viele deutsche Autos in den USA produziert werden und dort damit auch Jobs geschaffen wurden. Diese Konflikte sind auch der Grund, warum Merkel vor dem Gipfel angekündigt hat, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben erhöhen will. Sie will Trump Wind aus den Segeln nehmen.

Ist es für Deutschland eigentlich so schwer, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen? Ist das ein so großes Problem?

Ja. Merkels Koalitionspartner, die Sozialdemokraten, wollen nicht so viel Geld für Rüstung ausgeben. Eine Anhebung der deutschen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP würde auch viel Geld kosten, etwa 90 Milliarden Euro. Dazu kommt, dass die Bundeswehr heute noch andere Probleme hat als zu wenig Geld. Das vorhandene Geld wird nämlich völlig ineffizient ausgegeben. Wenn Deutschland seine 1,3 Prozent vom BIP effizienter einsetzen würde, könnte es eine ganz andere Bundeswehr geben. Die deutsche Armee ist heute ineffizient bei den Ausgaben, bei der Beschaffung, im Bereich Personal und so weiter. Die Bundeswehr ist heute eine sehr schlecht organisierte Armee.

Warum eigentlich? "Schlecht organisiert" klingt so gar nicht nach Deutschland. Mit Deutschland assoziiert man ja das Gegenteil.

Man hat nach dem Ende des Kalten Krieges zwar die Wehrpflicht abgeschafft und die Armee verkleinert. Aber man hat es versäumt, die Armee zu modernisieren und zu restrukturieren. Im Ergebnis sind heute zum Beispiel die U-Boote oft funktionsunfähig. Die Soldaten, die man ins Baltikum geschickt hat, haben nicht genug kugelsichere Westen und nicht genug Thermo-Unterwäsche. Und so weiter. Statt Deutschland dafür zu kritisieren, dass es nicht mehr Geld für Verteidigung ausgibt, sollte man sagen: Wenn ihr schon so viel Geld für die Bundeswehr ausgebt, dann bitte an der richtigen Stelle.

Es gibt derzeit einen sich immer mehr verbreiternden Graben zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. Falls dieser Graben noch breiter wird: Ist es vorstellbar, dass Europa dann sein eigenes Sicherheitssystem aufbaut? Gibt es für die Nato so gesehen überhaupt noch eine Zukunft?

Es wäre theoretisch möglich, dass Europa diesen Weg beschreitet. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ja bereits vorgeschlagen, eine europäische Eingreiftruppe jenseits der Nato zu bilden. Seine Idee ist jedenfalls interessant und hat großes Potenzial. Ein solcher Schritt braucht allerdings viel Zeit. Man kann eine europäische Armee nicht über Nacht schaffen. In der Zwischenzeit sollten sich die Europäer einmal innerhalb der Nato vernetzen. Und sie sollten Trump überzeugen, dass die Nato eine Organisation ist, die nicht nur für die europäische Sicherheit wichtig ist, sondern auch für die amerikanische. Die europäischen Nato-Staaten sind ja sind Alliierte der USA, die die selbe Kultur teilen. Offensichtlich sieht das Trump nicht so.

Gerade beim Thema Verteidigung gibt es aber auch einen Graben innerhalb der EU. So haben Polen oder die baltischen Staaten eine besondere Beziehung zu den USA. Ist es da realistisch, dass Europa ein eigenes Sicherheitssystem aufbaut und sich von den USA abkoppelt?

Es ist wohl noch zu früh, darüber ein Urteil zu fällen. Polen wird jedenfalls nur dann Vertrauen in ein europäisches Verteidigungssystem haben, wenn es ein glaubwürdiges ist, wenn es eine Beistandspflicht vorsieht ebenso wie in der Nato mit dem Artikel 5. Und davon ist man weit entfernt.

Wenn Sie an den sogenannten neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland denken: Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass die Situation noch schlimmer wird? Ist ein heißer Krieg zwischen Russland und dem Westen vorstellbar?

Ich glaube nicht, dass Russland konventionell ein Nato-Land attackieren kann. Was allerdings sehr wohl möglich ist, ist ein Unfall, etwa ein Zusammenstoß von Flugzeugen. Das könnte dann zu einer sehr ernsten Situation führen. Im Übrigen gibt es ja einen heißen Krieg, der gerade wieder eskaliert, nämlich in der Ostukraine.

Können Sie sich vorstellen, dass der Konflikt in der Ukraine gelöst werden kann?

Wenn, dann erst nach den ukrainischen Präsidentenwahlen im kommenden Jahr. Bis dahin wird sich jedenfalls nichts bewegen, wird der Minsk-Prozess nicht vorankommen. Es wird Zeit vergehen, und es werden weiter Menschen getötet werden.

Die Ukraine kann ja, solange die Gebietsstreitigkeiten mit Russland bestehen, nicht der Nato beitreten. Aber, davon abgesehen: Wäre eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato theoretisch vorstellbar?

Wohl kaum. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine würde schließlich bedeuten, dass alle Nato-Mitgliedstaaten der Ukraine beistehen müssten, wenn Russland das Land attackiert. Glauben Sie, dass die großen Nato-Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Deutschland in einen Krieg gegen Russland eintreten wollen?

Gibt es irgendeine Chance, diesen neuen Kalten Krieg mit Russland zu beenden?

Ja. Eine Beendigung dieses Konflikts wäre sehr einfach: Die Russen müssten nur die Ostukraine verlassen und sich aus der Krim zurückziehen.

Ist ausschließlich Russland schuld an der derzeitigen Situation oder ist nicht auch der Westen dafür mitverantwortlich?

Der Westen hat die Ukraine nicht überfallen. Der Westen hat die Grenzen der Ukraine nicht verändert. Der Westen hat die Krim nicht annektiert. Ich wüsste nicht, warum der Westen dafür verantwortlich sein soll.

Judy Dempsey ist ausgebildete Historikerin und Politologin und war lange als Korrespondentin in Osteuropa und Deutschland tätig. Heute ist sie Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Carnegie Europe in Berlin und Chefredakteurin des Blogs "Strategic Europe".