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Trump in schweren Problemen

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Das einzige Fernsehduell der Vizepräsidentschaftskandidaten Kaine und Pence findet im Schatten ihrer Vorgesetzten statt.


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New York/Washington D.C. Es wird das einzige Mal sein, dass das Thema in diesem verrückten Wahlkampf aufs Tapet kommt. Aber nicht einmal das ist fix. Wirtschaft, Immigration, hausgemachter und internationaler Terrorismus, Polizeiwesen: Angesichts dessen, was die Bürgerinnen und Bürger der USA im Jahr 2016 alles bewegt, spielt die Debatte um Sinn und Unsinn der Todesstrafe nicht einmal mehr eine untergeordnete Rolle. In 30 der 50 Bundesstaaten stellt sie nach wie vor eine Realität dar, aber als politischer Spielball scheint sie ein für allemal ausgedient zu haben. Umso seltsamer mutet es an, dass einer, der vielleicht schon in ein paar Monaten ins Weiße Haus einzieht, Jahrzehnte seines Lebens einerseits damit verbrachte, Menschen vor ihrer Vollstreckung zu bewahren; und der es andererseits zu verantworten hat, dass fast ein Dutzend Leute ihren Tod durch die Hand des Staats fanden.

Dienstagabend um neun Uhr Ortszeit (drei Uhr morgens MESZ) treffen auf der Bühne der Longwood University in Farmville, Virginia, die zwei US-Vizepräsidentschaftskandidaten zu ihrem Fernsehduell aufeinander. Für die Demokraten Tim Kaine und für die Republikaner Mike Pence.

Für Ersteren ist es ein Heimspiel. Kaine dient dem Bundesstaat Virginia seit 2013 als Senator, bis vor sechs Jahren stand er dem Commonwealth zudem als Gouverneur vor. In beiden Jobs machte er sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums einen Ruf als Pragmatiker, der, stets freundlich im Ton, den politischen Kompromiss sucht. Was nicht wirklich zusammenpasst mit jenem Image, das die Spindoktoren von Hillary Clinton wie die seines Gegners Donald Trump dem 58-Jährigen seit seiner Ernennung umhängen wollen. Freilich aus gänzlich konträren Gründen: das eines durch und durch progressiven Mannes, der sein Berufsleben in den Dienst der Unterprivilegierten gestellt hat. Bis hin zur Verteidigung von verurteilten Mördern, die Kaine einst vor der Giftspritze bewahren wollte. Bis er 1994 in den Stadtrat von Virginias Hauptstadt Richmond einzog (der er in der Folge vier Jahre als Bürgermeister vorstand), arbeitete der praktizierende Katholik als Anwalt, der pro bono Fälle für die Menschenrechtsorganisation American Civil Liberties Union (Aclu) bearbeitete. Eine Tätigkeit, im Rahmen derer er auch Mandanten repräsentierte, die zum Tod verurteilt worden waren.

Erklärungsnot

Damals wie heute ein ausgewiesener Gegner der Todesstrafe, gebot er ihrer Vollstreckung als Gouverneur trotzdem keinen Einhalt. Elf verurteilte Mörder starben in Kaines Amtszeit in Virginia durch die Giftspritze, elf Menschen, deren Gnadengesuche bei ihm kein Gehör fanden. Darauf angesprochen, sagt Kaine bis heute, dass er mit diesen Entscheidungen hadere, aber Gesetz sei eben Gesetz. Ein Satz, der genauso von seinem heutigen Gegner stammen könnte. Auch wenn der in seiner bisherigen Amtszeit als Gouverneur nur deshalb niemanden exekutieren ließ, weil sich dafür noch nicht die Gelegenheit bot. Mike Pence, mit 57 fast gleich alt wie Kaine, ist ein strammer Rechter, wie es strammer und rechter kaum gehen könnte. Wie der Demokrat blickt der Republikaner auf eine langjährige Politkarriere zurück. Bis zu seiner Wahl zum Gouverneur seines Heimat-Bundesstaates 2013 saß er über ein Jahrzehnt lang im Abgeordnetenhaus. Dort half er als einer der Geburtshelfer und Lieblinge der Tea-Party-Bewegung mit, die ohnehin schon konservative Partei noch konservativer zu machen.

Wie Kaine genoss Pence eine katholische Erziehung, nennt sich heute aber einen "Evangelikalen", der die Werte dieser Bewegung christlicher Fundamentalisten uneingeschränkt teilt: Davon abgesehen, dass er bekannt hat, im Fall von Donald Trumps und seiner Wahl alles dafür zu tun, Abtreibung in den USA für illegal erklären zu lassen, ging er als Gouverneur bei seinem politischen Kampf gegen Homo- und Transsexuelle so weit, dass er es Unternehmen in Indiana explizit erlaubte, nämliche aus religiösen Gründen zu diskriminieren. Erst ein landesweiter Aufschrei von LGBT-Organisationen und der Druck führender Geschäftsleute zwangen ihn am Ende, das Gesetz zu entschärfen.

Trumps Steuergebaren

Im Kontext der Fernsehdebatte scheinen all dies aufgelegte Diskussionsthemen zu sein - wären da nicht die Quasi-Vorgesetzten der beiden Kandidaten, in deren Schatten sie stehen und von denen zumindest einer nicht aufhört, Schlagzeile auf Schlagzeile zu produzieren. Erst dieses Wochenende veröffentlichte die "New York Times" eine Steuererklärung von Donald Trump aus dem Jahr 1995, in der dieser einen Geschäftsverlust in der Höhe von 916 Millionen Dollar angab. Nämlicher soll sich aus dem damaligen Missmanagement seiner Casinos, seiner bis 1992 bestehenden Fluglinie sowie aus dem überteuerten Kauf des New Yorker Plaza Hotels ergeben haben. Aus Mangel an gegenteiligen Beweisen - Trump ist der erste Präsidentschaftskandidat seit 1972, der sich weigert, seine aktuelle Steuererklärung öffentlich zu machen - vermuten Steuerexperten, dass der Immobilienmagnat und Ex-Reality-TV-Star diese Verluste beim Fiskus immer noch geltend macht und deshalb möglicherweise bis heute, mindestens aber bis zum Jahr 2010 keinen Cent an Steuern gezahlt hat.

Der Verdacht, dass sich der Milliardär mit allen möglichen Tricks vor der Abfuhr jeglicher staatlicher Abgaben drückt, hatte er seit seinem eigenen TV-Duell mit Hillary Clinton selbst genährt: "Weil ich smart bin", hatte er auf den Vorwurf seiner Konkurrentin entgegnet, dass er wahrscheinlich keine Steuern zahle. Von Tim Kaine wird deshalb nicht umsonst erwartet, Pence damit in die Enge zu treiben, ihn als den Steigbügelhalter Trumps zu entlarven, der er ist - nachdem sich selbst in der Führungsriege der Republikaner im Kongress niemand wirklich für den New Yorker Rechtspopulisten erwärmen kann. (Der konzentrierte sich in der vergangenen Woche vor allem auf Angriffe auf eine ehemalige Miss Universum, die nach Meinung des 70-Jährigen eine "fette", "abstoßende" Person sei.) Was sie nicht davon abhält, Pence Schützenhilfe zu leisten.

Paul Ryan, Sprecher der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, half Pence ebenso bei der Debattenvorbereitung aus wie die einstige Nachwuchshoffnung Scott Walker, Gouverneur von Wisconsin. Den Rekord für das meistgeschaute Fernsehduell der Stellvertreter in spe halten bis heute übrigens der amtierende Vizepräsident Joe Biden und Sarah Palin, die sich 2008 gegenübertraten. Laut Quotenmessungsfirma Nielsen schalteten damals 69,9 Millionen Zuschauer ein. Was die bis dahin geltende Bestmarke von 1984, George H.W. Bush gegen Geraldine Ferraro, die erste weibliche Vizepräsidentschaftskandidatin der US-Geschichte, um satte 13 Millionen übertraf. Zum Vergleich: Clinton versus Trump Runde eins brachte eine Quote von 84 Millionen Zuschauern.