Nie zuvor standen niederländische Parlamentswahlen so im internationalen Fokus. Mehr noch als um einen möglichen Sieg der Rechtspopulisten geht es dabei um einen Domino-Effekt.
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Amsterdam. Wenn am kommenden Mittwoch in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt wird, steht viel auf dem Spiel. Die rechtsliberale VVD und rechtspopulistische PVV liegen weiter an der Spitze der Umfragen, doch beträgt der Abstand zu den Christdemokraten, den gesellschaftspolitisch links und wirtschaftspolitisch rechts der Mitte angesiedelten Democraten66 und den Grün-Linken nur ein paar Sitze. Die derzeit noch mitregierenden Sozialdemokraten (PdvA) müssen hingegen mit einem Debakel rechnen. Mehr Wähler denn je wollen sich erst kurz vor der Wahl entscheiden, sodass es am Mittwochabend - die Wahllokale schließen erst um 21 Uhr - spannend zu werden verspricht.
Allein das Setting dürfte dabei vielen Menschen auch im Ausland bekannt vorkommen. Spätabends vor dem Bildschirm auf Ergebnisse warten, vielfach zwischen Hoffen und Bangen angesichts eines möglichen weiteren rechtspopulistischen Triumphs - das erinnert an die Brexit-Nacht im Juni und an die der amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November. In den Niederlanden denkt man auch an das Referendum zurück, als die Bevölkerung vor einem Jahr den Assoziationsvertrag zwischen der EU und der Ukraine verwarf. Ein Ergebnis, in dem nicht zuletzt auch eine Absage an die Union lag.
"Verkehrter Populismus"
Nun stehen die Niederlande an der Spitze der europäischen Staaten, in denen im vermeintlichen Schicksalsjahr gewählt wird. Es war der noch amtierende Premierminister Mark Rutte, der die pikante Konstellation jüngst in einem Radiointerview deutlich machte: Rutte warnte vor einem "verkehrten Populismus", der in Großbritannien und den USA gewonnen habe. In diesem "europäischen oder gar weltweiten Trend" könnten die Niederlande "das nächste umfallende Dominosteinchen" werden - oder aber: "Die Dominosteine, die gefallen sind, sind zu stoppen."
Dabei hat der Premier in der Hektik des Wahlkampfs ein kleines Detail vergessen: streng genommen ist der Dominostein bereits zum Liegen gekommen, nämlich mit der Wahl Alexander Van der Bellens zum österreichischen Bundespräsidenten. Die richtungsweisende Frage für die Niederlande und Europa dürfte daher lauten: Donald Trump oder Alexander Van der Bellen?
Dass die internationalen Medien ihren Fokus nun in großem Stil auf den Regierungssitz in Den Haag richten, liegt nur zum Teil an dieser Konstellation, und am Bewusstsein, dass eine volatile Fieberkurve die Wahlergebnisse des vergangenen Jahres miteinander verbindet - ebenso wie der strukturelle Gegensatz zwischen den sogenannten etablierten Parteien und einem zornigen, vermeintlich das "Volk" repräsentierenden Herausforderer.
Zweitens gibt es durchaus etwas, dass sich als rechtspopulistische Internationale bezeichnen lässt, wobei die Beteiligten sich eher als "Patrioten" beschreiben. Grundstein dieses Zusammenschlusses ist "Europe of Nations and Freedom" (ENF), die Rechts-Fraktion im EU-Parlament. Inzwischen gehören ihr 39 Abgeordnete aus neun Mitgliedsstaaten an. 2015 gegründet, ist sie das Ergebnis einer jahrelangen Planung seitens des Niederländers Geert Wilders und Marine Le Pen, Chefin der Front National (FN), die folglich auch die Achse dieses Projekts bilden.
"Volk" gegen "Elite"
Einige der zentralen Themen, die bei den Wahlen in den Niederlanden, aber auch später in Frankreich und Deutschland verhandelt werden, stammen direkt aus dem Diskurs, der bei ENF schon seit Jahren dominiert: Kulturkampf, die vermeintliche Islamisierung, Abwehr von Migration und Flüchtlingen, EU-Austritt und nationalstaatliche Restauration, und nicht zuletzt der vielfach beschworene Konflikt zwischen "Volk" und "Elite". Diese Zutaten formen das Amalgam zwischen Parteien wie Front National, Partij voor de Vrijheid, FPÖ, Lega Nord, Vlaams Belang sowie den kleineren Partnern.
Als sich im Jänner die ENF-Führungsriege im deutschen Koblenz traf, stand das richtungsweisende europäische Wahljahr 2017 im Zentrum. Vielfach wurde betont, dass man sich in einem gemeinsamen Streit um besagte Werte befinde. Marine Le Pen erklärte die EU zu einer "sterilisierenden Kraft, die uns aus unseren Kulturen löst", und Geert Wilders rief zum "patriotischen Frühling" auf. "Im März haben wir die Chance, die Niederlande zu befreien, dann wird Marine Präsidentin und" - gerichtet an das deutsche Publikum - "im Herbst seid ihr dran."
Wilders muss nun am Mittwoch als Erster aus dieser Riege liefern. Für den Fall, dass seine PVV gewinnt, aber nicht in der Regierung landet, hat der Populist eine "Revolte" angekündigt - friedlich und demokratisch. Für den Fall einer Niederlage gibt es keine Ansage.