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Trump und Johnson: Sie wissen nicht, was sie alles entfesseln

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Die politischen Methoden der beiden Dominatoren der angelsächsischen Welt werfen neben ihrem Populismus das vorherrschende Kooperationsmodell über den Haufen.


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Clowns sind sie beide nicht, Boris Johnson und Donald Trump, obwohl durchaus seriöse Medien wie "Die Presse" oder "Der Spiegel" so titeln. Mit ihrer Performance sind US-Präsident Trump und der neue britische Premier Johnson den Fantastereien des Barons von Münchhausen ein Stück näher, die Auswirkungen sind aber real und gewaltig. Werte und Gewissheiten werden auf den Kopf gestellt.

"Meine Rhetorik führt die Menschen zusammen", posaunte etwa Trump nach dem Massaker von El Paso vom 3. August mit 22 Todesopfern. Johnson wiederum schwadronierte nach seinem Amtsantritt als britischer Premierminister am 24. Juli in Trump-Manier: "Wir werden das Königreich wieder groß machen." Selbst die internationale Politik läuft so Gefahr, den Methoden des Wahlerfolgs zu gehorchen und nicht dem Ziel, das Zusammenleben der Völker zu verbessern. Die beiden Dominatoren der angelsächsischen Welt arbeiten mit politischen Methoden, die neben ihrem Populismus das seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vorherrschende Kooperationsmodell über den Haufen werfen. Einige Beispiele:

Bündnisbrüche: US-Präsident Trump hat seit seiner Machtübernahme mit Ausnahme der Nato fast alle internationalen Bündnisse aufgekündigt und Stabilität durch Labilität ersetzt. Johnson folgt ihm darin.

Russland vor China: Der Energielieferant Russland wird von allen Populisten dieser Welt bevorzugt. China, dessen wissenschaftlicher Vormarsch offensichtlich ist, wird von der westlichen Politik und Bürokratie nicht begriffen.

Angst vor dem Islam: Seit den 1990er Jahren ersetzt die Furcht vor dem (politischen) Islam die ehemalige Konfrontation mit dem Kommunismus. Das erzeugt Fehleinschätzungen wie zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage.

Sieg-oder-Niederlage-Mentalität wie beim Boxen und Ringen

Die Kündigung des Atomvertrags mit dem Iran durch die Regierung in Washington ist möglicherweise folgenschwerer als der an Schärfe zunehmende Handels- und (nun auch) Finanzkrieg zwischen den USA und China. Beide Konflikte entspringen der Sieg-oder-Niederlage-Mentalität in den männlichen Schwergewichtsdisziplinen des Boxens und Ringens.

Wie schon mehrmals in den vergangenen 20 Jahren haben Kriege und Konflikte im Nahen Osten Europa am meisten betroffen. Nicht zuletzt deshalb, weil deren Brisanz den Öl- und damit die Benzinpreise beeinflusst hat. Der Atomvertrag zwischen den USA, Russland und der EU einerseits sowie dem Iran andererseits hat die Märkte beruhigt und der Wirtschaft genützt. Seine Kündigung durch Trump hat neue Unruhe erzeugt und Preise wieder angetrieben. Würde nun Großbritannien nach einem Brexit den militanten US-Kurs mitmachen, wäre Feuer am Dach. Der Benzinpreis stiege auf über 2 Euro pro Liter. Flüchtlinge machten sich erneut auf den Weg. En masse.

Das hat bereits jetzt zu Verhandlungen über einen bilateralen Handelsvertrag zwischen den USA und Großbritannien geführt, dessen wichtigste Punkte kurzfristig wirksame Export- und Importbestimmungen wären - eine Zollunion ab 2020 zum Beispiel. Noch vor dem Sommer 2020 würden die Briten ein neues Unterhaus wählen und im November darauf die US-Bürger einen neuen Kongress.

Das Tandem Trump/Johnson ist das bisher umstrittenste Führungsduo der westlichen Welt. Aber wer kann eine Gegenkraft sein? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird zweifellos statt der deutschen Kanzlerin Angela Merkel den europäischen Kontinent führen. Er allein jedoch ist zu schwach, also braucht er eine geeinte EU. Wird Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin das schaffen können?

Zwei Gründe für die Wiederwahl Trumps

Warum hat dieses hier skizzierte Szenario in den USA und in Großbritannien eine so hohe Wahrscheinlichkeit? Das US-Magazin "Atlantic" hat in seiner jüngsten Ausgabe zwei Gründe für eine Wiederwahl Trumps genannt: erstens die für 2020 zu erwartende gute Wirtschaftslage und zweitens Trumps Gabe, die Realität in seinem Sinn darzustellen und für Rückschläge die Welt da draußen verantwortlich zu machen. Und draußen beginnt bereits dort, wo die republikanische Regierung aufhört und die Kritik der Demokraten anfängt.

Johnsons Werkzeug zur Konsolidierung der Macht ist der Brexit. Ab Herbst werden die britischen Konservativen die Wirtschaftsdaten schönen, Negatives kleinreden und Oppositionelle attackieren. Die Hauptschuld wird aus der Sicht Johnsons die EU tragen, die noch dazu die Schulden des Königreichs und die direkten Austrittskosten in den Ofen schieben kann. London wird Gegenrechnungen präsentieren, weil der Brexit einem totalen Versagen der EU zuzuschreiben sei.

Dieser (Farb-)Holzschnitt bedarf freilich vieler weiterer Facetten. Wie lange kann der Populismus, noch so raffiniert vorgetragen, die Leute an der Nase herumführen, ohne endgültig als böses Theater entlarvt zu werden? Wie lange werden sich die Gebildeten der betroffenen Länder den stückweisen Abbau der liberalen Demokratie noch gefallen lassen? Wann werden Umfrageinstitute und Politikjournalisten aufhören, immer nur nach Siegern oder Verlieren zu fragen und die Sachpolitik links liegen zu lassen? Nicht zuletzt: Wann werden selbst politisch Interessierte der Ankündigungspolitik der Politiker misstrauen - zuletzt dem "Versprechen" Johnsons, 10.000 zusätzliche Gefängniszellen zu bauen? Das hat er wohl von Trumps Mauerplan abgekupfert.

In der Ausgabe des Londoner "Economist" mit dem Titel "Here we go - Britain’s new prime minister" findet sich eine Art Ranking der momentanen Weltprobleme. Dem Leitartikel zum Titelthema auf Seite 7 folgt auf Seite 9 ein alarmierender Text zu den Hitzewellen: "Hot as hell". Dann blättert man zweimal weiter und stößt auf eine lange Analyse, wie die Umarmung Chinas durch Russlands Präsident Wladimir Putin in Wirklichkeit dessen Land schwächt.

Noch wissen wir nicht, wer aus dem Handelskrieg zwischen den USA und China als der Stärkere hervorgeht. Aber im Hintergrund spielt es eine Rolle, wie China mit dem Hongkong-Protest umgeht und der Kreml mit den eigenen Demonstrationen - eine schwer durchschaubare Gemengelage, deren Deutung möglicherweise den Horizont aller betroffenen Staatschefs übersteigt. Zu befürchten ist, dass Trump und Johnson mit ihrem übersteigerten Selbstbewusstsein gar nicht wissen, was sie alles anzetteln.