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Trumps treue Richter

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Trump kann einen Richterposten neu besetzen. Die Entscheidung dominiert das Rechtssystem der USA auf Jahrzehnte.


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Washington D.C. Zwischendurch geht’s ausnahmsweise auch einmal ganz solide. Eingedenk dessen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten stets für Überraschungen gut ist, mit denen er in der Regel langjährige Verbündete vor den Kopf stößt, verlief seine Suche nach einem neuen Höchstrichter als Ersatz für den scheidenden Anthony Kennedy bisher vergleichsweise langweilig. Am Montag will er bekanntgeben, wer dem gemäßigten Konservativen nachfolgt. Vielleicht per Twitter, vielleicht auch nicht: Glaubt man Fox News, dem unter Trump zum offiziellen Staatsfernsehen aufgestiegenen ultrarechten Nachrichtenkanal, sind nur noch drei Kandidaten im Spiel.

Alle drei sind bei der Auslegung des Rechts für ihren sogenannten "Originalismus" bekannt. Im US-Kontext bedeutet das, dass sie die Ur-Verfassung gern wörtlich interpretieren, auch wenn seit 1776 mehr als zwei Jahrhunderte ins Land gezogen sind. Diese Haltung entspricht dem Geist ihrer Mentoren. Auch die teilen die drei Kandidaten. Denn wer in konservativen Juristenkreisen in den USA etwas werden will, entscheidet seit Jahrzehnten nicht die Republikanische Partei, sondern jene Institution, an die sie derartige Entscheidungen ausgelagert hat: die sogenannte Federalist Society for Law and Public Policy Studies, eine 1982 gegründete und heute zwischen 60.000 und 70.000 Mitglieder umfassende Lobbyorganisation, die mittlerweile für die Mehrheit der Bestellungen der Richter zum Supreme Court verantwortlich zeichnet (bisher für Neil Gorsuch, John Roberts, Samuel Alito und Clarence Thomas).

Gegner der Abtreibung

Die ursprüngliche Liste an Kandidatennamen, die Trump auch für Kennedys Ersatz heranzog, wurde von Federal-Society-Vizepräsident Leonard Leo (53) persönlich erstellt - und auch jetzt spielt Leo, siebenfacher Familienvater und erzkonservativer Katholik, wieder eine wichtige Rolle bei der Endauswahl. Alsdann, Nummer eins: Raymond Kethledge, Jahrgang 1966, seit zehn Jahren Richter am Bundesberufungsgericht, stationiert in Ann Arbor, Michigan, wo er aufwuchs, studierte und, abgesehen von unregelmäßigen Abstechern in die Hauptstadt, sein ganzes bisheriges Leben verbrachte.

Erfahrung mit dem Supreme Court hat Kethledge bereits, in den 1990ern arbeitete er zwei Jahre lang für Kennedy. Obwohl sich viele Konservative im Kongress und einflussreiche rechte Medienkommentatoren für ihn starkmachen, werden ihm aber nur Außenseiterchancen eingeräumt.

Fast schon aus dem Rennen, zumindest was die Expertenmeinungen angeht, dürfte Amy Coney Barrett sein, ebenfalls Bundesrichterin am Court of Appeals. Die ehedem an der Universität Notre Dame lehrende Juristin gilt als Einzige der drei, die mit eindeutigen Aussagen zu Abtreibungsfragen aufgefallen ist. Sie kann sich vorstellen, die vom Supreme Court im Jahr 1973 gefällte Entscheidung, die Frauen in den USA Abtreibung erlaubt, rückgängig zu machen. Dass auch die anderen zwei Kandidaten Abtreibungsgegner sind, sich aber mit einer diesbezüglichen juristischen Expertise bewusst bedeckt halten, spielt insofern eine Rolle, als vereinzelte republikanische Senatoren wie Susan Collins aus Maine Widerstand angekündigt haben, sollte bei den bevorstehenden Anhörungen im Senat die Entscheidung des Supreme Courts aus den Siebzigern in Frage gestellt werden.

Bleibt noch Brett Kavanaugh, Bundesrichter am US Court of Appeals mit Sitz in der Hauptstadt. Geboren in D.C., aufgewachsen in Bethesda, Maryland: Von allen drei Kandidaten ist der 53-Jährige mit Abstand am besten vernetzt, keiner verkörpert den ultimativen Washingon-Insider mehr als er. Was Trump möglicherweise weniger stört als Kavanaughs traditionelle Nähe zur Familie Bush. 2006 von George W. in seinen derzeitigen Posten erhoben, gehen seine Beziehungen zum Bush-Clan weit übers Professionelle hinaus. Zwei Jahre zuvor hatte er Ashley Estes geheiratet, die langjährige persönliche Sekretärin des damaligen Präsidenten.

Was außer der Tatsache, dass er in den 1990er Jahren am Höhepunkt der Monica-Lewinsky-Affäre für Clinton-Chefankläger Kenneth Starr arbeitete, formal noch für Kavanaugh spricht: Sein Lebenslauf weist ihn als Absolventen der privaten Eliteuniversität Yale aus. Für einen wie Trump, der zeit seines Lebens weniger auf inhaltliche Kompetenzen als auf Markenwert bedacht war, bildet diese Tatsache einen potenziell entscheidenden Pluspunkt. Davon abgesehen ist das wichtigste, wenn nicht sogar das einzige Kriterium Trumps, wie gut er persönlich mit dem Kandidaten kann - und vor allem, wie sehr er glaubt, dass er ihn vor möglicher Strafverfolgung durch etwaige Ergebnisse der Untersuchung von Special Council und Ex-FBI-Chef Robert Mueller zu schützen verspricht. Nachdem Kavanaugh in der Vergangenheit auch diesbezüglich Trump zufriedenstellende Aussagen machte - er argumentierte unter anderem, dass die Verfassung dem Präsidenten die breitestmögliche Autorität einräume - und er zudem die Unterstützung von Don McGahn genießt, dem offiziellen Anwalt des Weißen Hauses (und wie er Federalist-Society-Mitglied), gilt er als Favorit.

Aber egal, welcher der drei es am Ende wirklich zum Höchstrichter schafft: Gewonnen haben die Konservativen schon jetzt. Nun wird das volle Ausmaß der beispiellosen Obstruktionspolitik deutlich, die die Republikaner im Senat in den Obama-Jahren praktizierten. Während die Republikaner mit allen Mitteln verhinderten, dass der erste afroamerikanische Präsident seine Kandidaten für die Bundesrichter-Bänke durchbrachte, füllen sie, seitdem sie die totale Macht im Kongress und im Weißen Haus haben, diese Bänke mit ihren Leuten.

Zynisches Kalkül

Dank der Wahl Trumps ist eine rechte Mehrheit in der Judikative gesichert, und das auf Jahrzehnte hinaus. Das Kalkül der Republikaner könnte zynischer kaum sein: Auch wenn sich der politische Wind dreht, ist nun de facto garantiert, dass jegliche nicht bloß kosmetische Gesetzesinitiativen der Demokraten, wenn sie wieder an die Macht kommen, künftig von den mit großteils erzkonservativen Richtern vollgepackten Bundesgerichten für nicht verfassungsgemäß erklärt werden. Mit einer funktionierenden repräsentativen Demokratie hat das freilich nur mehr am Rande zu tun - aber wie viel ein Donald Trump für diese Regierungsform wirklich übrig hat, lässt sich ohnehin täglich auf Twitter bestaunen.