"Sich gegenseitig zuzuhören ist das, was Amerika heilen wird": Biden trifft sich mit der Familie von Floyd. Unterdessen heizt Präsident Trump die Stimmung weiter auf.
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Mit Kritik am Präsidenten hat sich Joe Biden bisher vergleichsweise zurückgehalten. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten verfolgt offenbar eine andere Strategie. Anstatt Donald Trump zu attackieren, zeigt er, wie man es besser macht - und spricht sich immer wieder gegen systematischen Rassismus und Ungleichheit in den USA aus. Am Montag traf der 77-Jährige die Hinterbliebenen George Floyds in Houston, Texas.
"Sich gegenseitig zuzuhören ist das, was Amerika heilen wird", erklärte Benjamin Crump, der Anwalt der Familie Floyds. Genau das habe Biden getan - für mehr als eine Stunde war er bei der Familie, beschrieb der Verteidiger das Treffen.
Bidens Mitgefühl habe für die trauernden Angehörigen "die Welt bedeutet"., schrieb er weiter auf Twitter. Dazu veröffentlichte Crump ein Foto, dass neben Biden unter anderem Bürgerrechtler Al Sharpton und Floyds Onkel Roger Floyd zeigen soll.
Der 46-Jährige Floyd war am 25. Mai in Minneapolis bei einem Polizeieinsatz getötet worden. Ein weißer Beamter hatte ihm sein Knie fast neun Minuten lang in den Nacken gedrückt - trotz aller Bitten Floyds, ihn atmen zu lassen. Das brutale Vorgehen hatte einen Aufschrei, Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt sowie teilweise gewaltsame Ausschreitungen in vielen US-Städten ausgelöst.
In den USA ist die Wahrscheinlichkeit, von einem Polizisten getötet zu werden, für Schwarze 20 Mal höher als für Weiße. Die Liste der Opfer ist endlos.
Doch anstatt sich klar gegen Rassismus auszusprechen und die Lage zu beruhigen, gießt Trump weiter Öl ins Feuer - und geht mir aller Härte gegen die Demonstranten vor. Vergangene Woche ließ er 1600 Soldaten nach Washington verlegen, um sie gegen die "Terroristen" einzusetzen. Während die Stadt Minneapolis beschloss, die Polizeibehörde aufzulösen und völlig neu zu organisieren, und auch New York eine Polizeireform ankündigte, schiebt Trump die Schuld für die Unruhen im Land auf die Antifa - und kündigte an, die Organisation verbieten zu lassen.
Miserables Krisenmanagement
Die Unruhen scheinen Trump gelegen zu kommen, immerhin lenken sie von der Corona-Krise ab. Mehr als 110.000 Menschen sind in den USA an Covid-19 gestorben, rund 40 Millionen Amerikaner haben ihren Job verloren. Die Krise hat Trumps Schwächen offengelegt und seine wirtschaftlichen Errungenschaften zunichtegemacht. Laut einer Umfrage von NBC News sind 49 Prozent der Befragten unzufrieden mit Trumps Krisenmanagement. Für gut halten es nur 32 Prozent.
Und nach seiner Reaktion auf die Proteste in den USA wenden sich auch immer mehr Republikaner von Trump ab. Ex-Präsident George W. Bush unterstützt ihn bei den kommenden Wahlen nicht mehr, Utahs Senator Mitt Romney ist schon lange ein Widersacher Trumps. Und auch immer mehr alte Weggefährten warnen vor einer Wiederwahl Trumps im November.
So schrieb etwa der ehemalige Verteidigungsminister James Mattis im "Atlantic", der Präsident spalte das Land und sei eine Gefahr für die amerikanische Verfassung: "Trump ist der erste Präsident in meiner Lebenszeit, der nicht einmal versucht so zu tun, als wolle er das amerikanische Volk einen."
"Gefährlich für unsere Demokratie, gefährlich für unser Land"
Trump sei "gefährlich für unsere Demokratie, gefährlich für unser Land", sagt auch der ehemalige Außenminister Colin Powell (2001 bis 2005). "Er lügt und kommt damit durch, weil Menschen ihn nicht zur Rechenschaft ziehen", so Powell am Sonntag zum Sender CNN. Der Ex-General kündigte an, bei der Präsidentenwahl im November für den Demokraten Joe Biden zu stimmen.
Er wird nicht der Einzige sein. Viele ehemalige Trump-Wähler könnten dieses Mal die Seiten wechseln. In den Umfragen führt Biden derzeit mit durchschnittlich 49 Prozent, Trump kommt auf 42 Prozent. Mittlerweile sagen Umfragen selbst in republikanischen Hochburgen wie Georgia und Arizona ein knappes Rennen voraus.
Entscheidend für den Wahlausgang im November könnte Bidens Kandidatenwahl für die Vizepräsidentschaft sein. In US-Medien kursieren zahlreiche Namen, am häufigsten wird Kaliforniens Senatorin Kamala Harris genannt. Entscheidet sich Biden mit Harris für eine schwarze Frau, könnte er viele Wähler, die sich sonst nicht am Urnengang beteiligt hätten, für sich gewinnen. Sie könnten den entscheidenden Unterschied machen.
Minderheiten entscheidend
Indes könnten die Republikaner erneut versuchen, Minderheiten, die sie ohnehin nicht wählen, vom Urnengang fernzuhalten. In den USA entscheiden die Bundesstaaten, welches Dokument Wähler vorlegen müssen - etwa einen Führerschein, den viele Schwarze nicht haben. Andere Methoden sind das Löschen von Personen aus Wählerverzeichnissen und die Schließung von Wahllokalen in schwarzen Wohngegenden. Auch Trump wird wohl zu solchen Tricks greifen.
Am Montag, während Biden die Familie George Floyds traf, hatte er ganz anderes zu tun: Der Präsident lud Polizisten ins Weiße Haus, um das weitere Vorgehen bei den Demonstrationen zu besprechen.