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Tschechien auf Österreichs Spuren?

Von Klaus Huhold

Europaarchiv

Gespräch mit dem | ø | í Pehe. | Prag. In Tschechien gibt es erste Annäherungen bei den Verhandlungen um eine neue Regierung zwischen der bürgerlichen ODS und der sozialdemokratischen È SSD. Bei einem Treffen der beiden Parteivorsitzenden Mirek Topolánek (ODS) und Ji ø í Paroubek ( È SSD) ist es offenbar gelungen, die Blockade zu lösen. Das Problem der bisherigen Verhandlungen war, dass die È SSD eine Minderheitsregierung der ODS nur zwei Jahre dulden und bei der Ernennung der Minister ein gehöriges Wörtchen mitreden wollte. Seit über zwei Monaten warten die Tschechen jedenfalls schon auf einen neue Regierung.


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Laut Ji ø i Pehe, dem ehemaligen Chefberater des Ex-Präsidenten Václav Havel, scheitern die Verhandlungen bisher aber nicht nur an den Forderungen der È SSD sondern auch an einer "Kultur der Konfrontation", die sich in der tschechischen Politik herausgebildet habe.

"Man kann jemandem nicht ständig ins Gesicht schlagen und dann auf seine Unterstützung hoffen", spielt Pehe auf das rüde Verhalten Topoláneks gegenüber Paroubek während des Wahlkampfs an. Die ODS hatte den Sozialdemokraten vorgeworfen, Tschechien gemeinsam mit den Kommunisten in die Zeit vor 1989 katapultieren zu wollen. Doch auch die Sozialdemokraten blieben der ODS nichts schuldig und bezichtigten die Bürgerlichen, sie würden mit der Parlamentsmehrheit und dem von der ODS stammenden Präsidenten der Tschechischen Republik Václav Klaus im Rücken eine Art Diktatur errichten. Trotzdem ist Pehe optimistisch, dass sich die beiden Parteien demnächst einigen können. Denkbar ist für den Professor eine Minderheitsregierung der ODS, die derart von der È SSD kontrolliert wird, dass sie eine versteckte Große Koalition ist. "Das ist die einzige Möglichkeit einer stabilen Regierung", so der Direktor der Prager New York University. Denn ODS und È SSD besitzen gemeinsam im Abgeordnetenhaus 155 der 200 Sitze. Alle anderen Konstellationen, bei welchen eine Großpartei die Grünen, die Christdemokraten oder die Kommunisten mit einbeziehen würde, besitzen keine Mehrheit.

Große Koalition für kurze Zeit

Ist Tschechien also auf der Vorstufe des Weges, den Österreich vor der Wende 2000 ging? "Für einen langen Zeitraum wäre eine Große Koalition gefährlich", meint Pehe. "Es könnte zu Korruption und einer Aufteilung der Macht kommen. Außerdem könnten dadurch Parteien vom politischen Rand erstarken - sei es die Kommunisten oder Gruppierungen ähnlich der österreichischen FPÖ."

Doch wenn sich diese Konstellation auf eine Legislaturperiode beschränke, sei eine Große Koalition durchaus sinnvoll. "Sie könnte ihre Stärke nützen, um wichtige politische Schritte zu setzen." Das Pensionssystem müsse dringend reformiert und die Finanzpolitik angesichts der Maastricht-Kriterien auf ein festes Fundament gestellt werden. Damit derartige Reformen von Dauer seien, benötigten sie einen breiten politischen Konsens. Dies beweise laut Pehe die Slowakei. Dort nimmt die neue sozialdemokratische Regierung von Robert Fico derzeit die Reformen des Kabinetts des bürgerlich-liberalen Mikula Dzurinda zurück.

Doch noch gibt es weder eine offene noch eine versteckte Große Koalition und Neuwahlen sind möglich. Warum lässt sich die ODS auf diese nicht ein, liegt sie doch in den Umfragen voran? Es könnte ein Pyrrhussieg werden. "Wenn es die Grünen nicht ins Parlament schaffen, könnte sich eine Mehrheit für Sozialdemokraten und Kommunisten ausgehen", so Pehe.