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Tschechien ist volljährig - aber die Kinderkrankheiten sind noch da

Von Alexandra Klausmann

Analysen

Zu Jahresbeginn wurde die Tschechische Republik 18 Jahre alt. Ein Geschenk zur Volljährigkeit hatte sie sich schon im Sommer zuvor gemacht: die erste Regierung in der Geschichte Tschechiens, die über eine richtige Mehrheit verfügt.


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Die liberale und reformorientierte Regierungskoalition von Petr Necas errang bei den Wahlen im Mai 2010 ganze 118 von 200 Abgeordnetenhaus-Sitzen - genug, hätte man meinen können, um sich wenigstens einmal eine Legislaturperiode lang aufs Regieren konzentrieren zu können. Denn Necas-Vorgänger saßen meist auf sehr wackeligen Stühle: Von den Jahren des Oppositionspaktes einmal abgesehen, einer großen Koalition aus Bürgerpartei (ODS) und Sozialdemokraten (CSSD) zwischen 1998 und 2002, in denen die CSSD als Wahlsieger den Ministerpräsidenten Milos Zeman stellen durfte und Václav Klaus mit seiner ODS ein Comeback feierte und dem Abgeordnetenhaus vorstand.

Noch ein halbes Jahr zuvor, im Jänner 1998, hatte Klaus im selben Abgeordnetenhaus seine Demission als Regierungschef einreichen müssen. Schwarze Konten in der Schweiz hätten ihm damals fast das Genick gebrochen. Nach einem innerparteilichen Zwist erklärte er den Rücktritt seiner zweiten Regierung, die ohnehin über keine absolute Mehrheit an Mandaten verfügte. Sie kontrollierte 99 von 200 Sitzen.

Dem Oppositionspakt folgte eine wackelige Koalition aus CSSD und der inzwischen inexistenten Freiheitsunion. In der Regierung, die sich auf die Mehrheit von nur einer Stimme stützte, gaben die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten einander die Klinke in die Hand. Der erste, Vladimir Spidla, war kein Mann für innerparteiliche Grabenkämpfe. Der zweite, Stanislav Gross, war vor allem ein Mann seines eigenen Bankkontos. Der dritte, Jiri Paroubek, wurde Opfer seines eigenen Egos. Seine bullige, populistische Art der Sozialdemokratie kam nicht sehr gut an.

Und so brachten die Wahlen 2006 zwar ein politisches Patt, stellten der ODS aber in einer Koalition mit den - inzwischen unbedeutenden - Christdemokraten und Grünen eine hauchdünne Mehrheit in Aussicht. Mit Hilfe von zwei Überläufern war sie Anfang 2007 dann lebensfähig. Paroubek, der sich dadurch um die Macht gebracht sah, stürzte diese Regierung zwei Jahre später per Misstrauensvotum - Tschechien hatte damals gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Tschechiens aktuelle Regierung ist die achte - also eine neue Regierung alle zweieinhalb Jahre. Dass Necas den jüngsten Ausbruch der permanenten tschechischen Regierungskrise überstanden hat, kann er vor allem dem starken Mandat seiner Regierung verdanken. Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack. Hat sich doch gezeigt, dass auch ein starkes Mandat keine Garantie dafür ist, die Kinderkrankheiten zu beseitigen, an denen Tschechien seit dem Tag seiner Geburt leidet: Korruption und Klüngelei.

Siehe auch:Regierung in Prag vor Neustart