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Tschechien tritt schweres Erbe an

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Premier Topolanek international noch unbekannt. | Russland und EU-Reform fordern Prag. | Wegen Atomkraft droht Konflikt mit Österreich. | Brüssel. Tschechien tritt am 1. Jänner 2009 ein schweres Erbe an: Der bisherige EU-Vorsitzende, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, war scheinbar omnipräsent und ist auch wegen seines energischen Auftretens weltweit bekannt. Über seinen Nachfolger, den tschechischen Premier Mirek Topolanek, weiß dagegen außerhalb seines Heimatlandes kaum jemand etwas - außer dass seine Regierungskoalition in Prag auf sehr wackeligen Beinen steht. Zweifelhafte Prominenz genießt eher der Präsident des neuen EU-Vorsitzlandes, Vaclav Klaus, der keine Gelegenheit auslässt, um seiner EU-Skepsis medienwirksam freien Lauf zu lassen.


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Umso härter wird es für Topolanek, sich und seinem Land auf internationalem Parkett ein eigenes politisches Profil zu erarbeiten. Als erster früherer Mitgliedsstaat des Warschauer Pakts an der Spitze der EU sind die Möglichkeiten dafür so vielfältig wie riskant. Rund 2200 Treffen von Vertretern der EU-Länder unter tschechischem Vorsitz sind bis Ende Juni eingeplant, 239 informelle Sitzungen sollen in Tschechien selbst abgehalten werden.

Die anstehenden Themen ranken sich oft um Dossiers, die Paris auf den Weg gebracht hat. Sie reichen von der Formalisierung des EU-Klimaschutzpakets über das Festzurren von Maßnahmen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise bis zum für Österreich wichtigen Plan zur Erhöhung der Lkw-Maut um Umweltaufschläge. Auf dem Energiesektor droht vor allem wegen der Atomkraft-Affinität Prags eine Konfrontation mit Wien.

Auch fühle sich Tschechien den möglichen EU-Anwärtern am Westbalkan "traditionell eng verbunden", sagte EU-Botschafterin Milena Vicenova. Um allerdings die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien - wie von der EU-Kommission in Aussicht gestellt - nächstes Jahr zu Ende führen zu können, müsste Prag erst einmal die Blockade durch Slowenien bereinigen. Der Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern sei allerdings "wirklich deren Angelegenheit", so Vicenova. Hier könne maximal moderiert werden. Kurz vor dem Auftakt des tschechischen EU-Vorsitzes hat zudem Montenegro einen Beitrittsantrag gestellt. Weitere Länder wie Serbien, Albanien und Bosnien-Herzegowina könnten demnächst folgen.

Engere Beziehungen zum Osten

Außenpolitisch wollen die Tschechen darüber hinaus die Beziehungen der EU zu den Ländern im Osten intensivieren. Neben Armenien, Aserbaidschan, der Ukraine und Moldawien nannte die EU-Botschafterin das politisch bisher wenig opportune Weißrussland und Georgien, das durch den Krieg mit Russland im Sommer die Beziehungen der EU zu dem großen Nachbarn Russland gehörig auf die Probe gestellt hat.

Dem Appeasement-Kurs Sarkozys gegenüber Moskau hat Tschechiens Außenminister Karl Schwarzenberg ohnehin bereits ein kritisches Zeugnis ausgestellt. Sein Land gilt nicht nur wegen der Vergangenheit im unmittelbaren Einflussbereich der Sowjetunion bei diesem Thema als wesentlich sensibler als Frankreich oder auch Deutschland. Ein Übriges tut die in Tschechien geplante Stationierung einer US-Radarstation für den von Russland heftig kritisierte Raketenschild, der offiziell gegen einen möglichen Angriff aus dem Iran aufgebaut werden soll.

Vicenova, die den EU-Vorsitz in Brüssel managen muss, hat sich die Latte hoch gelegt: Am Ende der sechs Monate werde der Eindruck stehen, dass Tschechien keineswegs ein EU-skeptisches Land, sondern ein "stolzes Mitglied" der Union sei, sagte sie.

Abstimmung über Reformvertrag

Ein erster Test für diese Ambition findet schon Anfang Februar statt. Dann wird sich Tschechiens Parlament mit der Umsetzung des Lissabonner Vertrags und dem weiteren Umgang mit den US-Raketenabwehrplänen beschäftigen. Tschechien hat dem Lissabonner Vertrag für eine effizientere Union als einziger Mitgliedstaat neben Irland noch nicht zugestimmt.

In der konservativen Regierungspartei ODS gibt es zwar vereinzelt kritische Stimmen zu dem Vertrag, da aber voraussichtlich die oppositionellen Sozialdemokraten geschlossen dafür stimmen werden, sollte es in den beiden Kammern des Parlaments kein grobes Problem geben. Mehr als fraglich bleibt dann aber noch, ob Präsident Klaus den Vertrag unterschreibt, ist das Staatsoberhaupt doch ein klarer Gegner des Reformwerks. Klaus sieht dadurch die Souveränität der einzelnen Staaten gefährdet. Brüsseler Experten sind sich allerdings einig, dass der Widerstand von Klaus eher nur als ein rhetorischer zu betrachten sei.

Vorbereitung auf das Unerwartete

Die größte Herausforderung sei ohnehin jene, auf das Unerwartete vorbereitet zu sein, betonte Vicenova. Mit der neuen Eskalation der Lage im Nahen Osten ist das Unerwartete schon vor dem Startschuss des tschechischen EU-Vorsitzes eingetreten. Noch fordert der scheidende EU-Sprecher Sarkozy eine sofortige Einstellung der Gewalt. Schon am Donnerstag muss sich Topolanek damit herumschlagen.

Die Hoffnung der Tschechen ruht bei der Entspannung des Nahost-Konflikts auf dem kommenden US-Präsidenten Barack Obama. Ihn wollen sie möglichst rasch nach seiner Angelobung Mitte Jänner im Namen der Union in Prag willkommen heißen.