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Tschechien: Vom Musterland zum Corona-Problemfall

Von Klaus Huhold

Politik
Ein Freiluftkonzert am Wochenende in Prag.
© reuters/David W. Cerny

In Tschechien explodieren die Fallzahlen. Die Entwicklung ähnelt der in Österreich - nur ist sie im Nachbarland viel extremer.


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Das Festbankett wurde wohl zu früh ausgerichtet. Rund 2000 Menschen hatten sich Ende Juni auf der Prager Karlsbrücke an einem mehr als 500 Meter langen Tisch mit selbst mitgebrachten Speisen und Getränken versammelt, um symbolisch den Abschied von Corona zu feiern. Das Schlimmste schien überstanden, die zuvor strikten Maßnahmen gegen das Virus wurden gelockert. Doch nun ist Covid-19 mit voller Wucht in das Nachbarland zurückgekehrt.

Die Zahl der täglich neu registrierten Corona-Fälle stieg in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land zeitweise auf mehr als 3.000 pro Tag. Und tschechische Virologen warnen bereits, dass diese Zahl auf bis zu 8.000 zu steigen droht.

Die Entwicklung in Tschechien ist sehr ähnlich der in Österreich verlaufen - nur war sie in allen Richtungen extremer. Auch Tschechien hat im Frühjahr einen strikten Lockdown erlassen. Dabei schloss die Prager Regierung schneller und umfassender die Landesgrenzen als die österreichischen Kollegen, zudem galt eine noch striktere Maskenpflicht, zeitweise musste so gar im Freien der Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt werden. Die Zahlen wurden sehr niedrig gehalten, Tschechien galt als ein Musterland bei der Corona-Bekämpfung.

Im Sommer folgte dann - noch mehr als hierzulande - die große Lockerheit: So wurde die Mundschutzpflicht fast ganz abgeschafft, in Prag etwa musste man nur noch in der U-Bahn sowie in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen Maske tragen. Auch wurde die Metropole an der Moldau wieder ihrem Ruf als einer der Partyhauptstädte Europas gerecht. Zudem brachten einige Reiserückkehrer das Virus nach Tschechien. Mit dem Anstieg der Zahlen waren dann auch die Testkapazitäten bald erschöpft - bis zu einer Woche müssen Bürger nun auf einen Termin warten.

Mittlerweile sind die Zahlen in Tschechien explodiert. Laut EU-Gesundheitsagentur ECDC liegt Tschechien innerhalb der EU bei der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner im 14-Tage-Schnitt mit 193 mittlerweile an zweiter Stelle hinter Spanien. In Österreich gab es in den vergangenen zwei Wochen 101,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.

Nun versucht die Regierung in Prag gegenzusteuern: Sie hat wieder eine sehr umfassende Maskenpflicht eingeführt, zudem müssen Lokale und Nachtklubs früher zusperren. Doch das ist wohl erst der Anfang. Premier Andrej Babis kündigte bereits an, dass die Maßnahmen noch einmal verschärft werden - selbst die Ausrufung des Notstandes ist möglich.

Ein neuer Gesundheitsminister soll es nun richten

Dabei war es gerade der Milliardär an der Regierungsspitze, der verhindert hat, dass die Maßnahmen schon früher verschärft wurden. Epidemiologen hatten schon im August gemahnt, dass die Regierung auf die Corona-Entwicklung reagieren müsse. Gesundheitsminister Adam Vojtech, der der populistischen Bewegung ANO von Babis angehört, arbeitete auch einen entsprechenden Maßnahmenkatalog aus.

Doch Babis kassierte die Maßnahmen seines Ministers. Er fürchtete offenbar, dass diese vor den Regional- und Senatswahlen, die in nicht einmal zwei Wochen anstehen, nicht gut angekommen wären. Nun hat der frühere Geschäftsmann eingeräumt, dass das vielleicht ein Fehler war.

Vojtech hat am Montag seinen Rücktritt verkündet. Auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz erklärte der 34-Jährige, er wolle den "Raum für eine neue Lösung der Corona-Situation" im Land schaffen. Sein Nachfolger wird mit Roman Prymula ein Epidemiologe, der schon bisher die Regierung beraten hat. Dieser soll noch am Dienstag angelobt werden, verkündete Babis bereits. Dass die Wahl auf Prymula fiel, gibt wohl schon einen deutlichen Hinweis auf die künftige Corona-Politik: Prymula ist zuletzt für eine deutliche Verschärfung der Maßnahmen eingetreten. Babis war sich dessen bei der Wahl seines neuen Ministers bestimmt bewusst.