Kaum einigt sich neue Koalition auf Programm, streitet sie um Ministerien.
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Prag. Es gibt eine Sehnsucht in Tschechien: die nach stabilen politischen Verhältnissen. Denn in den vergangenen Jahren haben sich Regierungen durch interne Grabenkämpfe selbst torpediert und teilweise gar ihre Mehrheiten verloren, erschütterten zudem Korruptionsaffären das Land. Tschechien war oft gelähmt, die Bevölkerung mit der Politik zusehends frustriert.
Nun wird der nächste Anlauf gestartet: Die Sozialdemokraten (CSSD), die Partei ANO des Milliardärs Andrej Babis und die Christdemokraten haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und am Freitag ihr Regierungsprogramm vorgestellt. Die Weltbilder der Parteien unterscheiden sich stark - da die linken Sozialdemokraten, dort der Unternehmer Babis, der den Staat wie eine Firma führen will. Doch zumindest der Stil der Verhandlungen stimmt den Prager Politologen Jiri Pehe optimistisch, dass es diesmal mit mehr Stabilität klappen könnte. "Alle Parteien haben viel Willen zum Kompromiss gezeigt", sagt Pehe zur "Wiener Zeitung". Und sie seien auch bereit, dringliche Reformen anzugehen. So fehlt in Tschechien bis heute ein Beamtengesetz - weshalb die EU-Kommission bereits drohte, Gelder aus den Strukturfonds nicht an Prag auszuschütten. Die neue Koalition will diesen Missstand nun schnell reparieren.
Streit um Minister und ein eigensinniger Präsident
Doch kaum war das Programm vorgestellt, gab es auch bei diesem Bündnis die ersten Streitigkeiten, und zwar um die Ministerposten. Die Christdemokraten fordern drei Ministerien, ANO-Chef Babis meint aber, dass der kleinsten Partei in der Koalition nur zwei zustünden. Die Christdemokraten dachten daraufhin laut darüber nach, ob sie überhaupt in die Regierung eintreten.
Für Unruhe könnten auch noch die innerparteilichen Gremien sorgen, die dem Koalitionspakt zustimmen müssen - vor allem bei der CSSD wird der Parteichef und designierte Premier Bohuslav Sobotka dieses Wochenende Überzeugungsarbeit leisten müssen. Dass vorerst keine Steuern erhöht werden, werten viele Genossen als zu großes Zugeständnis an die Unternehmerpartei ANO. Jede Partei, die jetzt noch vom Regierungszug abspringt - sei es wegen des Streits um Ministerien, sei es wegen Gremien - riskiert aber viel. Denn sie würde dadurch in der Öffentlichkeit immens viel Kredit verspielen.
Gelingt es den Parteien nun, die letzten Hindernisse auf dem Weg zu einer Einigung aus dem Weg zu räumen, bleibt jedoch noch ein Unsicherheitsfaktor: Präsident Milos Zeman. Dieser droht, Minister nicht zu ernennen, wenn sie ihm nicht kompetent genug für ihr Amt erscheinen.
Milliardär Babis könnte Regierung stabilisieren
Ob die Verfassung Zeman überhaupt das Recht dazu einräumt, darüber gehen die Meiningen auseinander. Klar scheint allerdings, dass er Tschechien in eine tiefe politische Krise führen würde, wenn er seine Drohung ernst macht. "Die Parteien können es Zeman nicht erlauben, dass er entscheidet, wer in der Regierung Ämter übernimmt und wer nicht", sagt Pehe. Denn das würde das gesamte politische System Tschechiens erschüttern und dem Präsidenten mehr Macht zuspielen, als er bisher hatte.
Zeman war früher selbst CSSD-Vorsitzender und mischt angeblich noch immer in der Partei mit. Er soll auch seine Finger mit im Spiel gehabt haben, als nach der Wahl eine Gruppe von Sozialdemokraten einen Putsch gegen Parteichef Sobotka anzettelte. Der designierte Premier gewann aber den Machtkampf. Genau das könnte nun Sobotkas Position für eine zukünftige Regierungsarbeit gestärkt haben.
Unangefochten an der Spitze seiner Partei steht hingegen der Milliardär Babis, der ja ANO auch gegründet hat. Die Partei sah sich selbst in der Opposition, doch der überraschende Wahlerfolg - mit 18 Prozent der Stimmen wurde ANO zweitstärkste Partei hinter der CSSD - zwang sie regelrecht, Verantwortung zu übernehmen.
Nun lenkt voraussichtlich eine erst kürzlich gegründete, politisch unerfahrene Bewegung das Land mit - so mancher Kommentator traut ANO diese Aufgabe nicht zu. Allerdings hat sich Babis mit ehemaligen hochrangigen Beamten und Finanzexperten kompetente Leute in sein Team geholt. Zudem sei der Unternehmer, der einen riesengroßen Agrarkonzern aufgebaut hat, "keine Person, die gerne verliert", sagt Pehe. "Deswegen möchte er die Koalition auf keinen Fall scheitern sehen. Babis könnte daher ein Stabilitätsfaktor für eine künftige Regierung sein."