250.000 Stimmen gegen Andrej Babis: Die gefährlichsten Gegner von Tschechiens Premier sind die Demonstranten. Doch der Polit-Milliardär scheint nicht mit ihnen reden zu wollen.
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Prag/Wien. Es ist ein Satz, den Andrej Babis immer wieder sagt, bei Wahlkampfreden, in Interviews oder auf Diskussionsveranstaltungen: "Sie kapieren es nicht." Sie, das können EU-Politiker, die heimische Opposition oder auch NGOs sein. Der Satz legt Zeugnis über das Selbstbewusstsein des tschechischen Premiers ab. Denn wer es kapiert, ist natürlich er, Andrej Babis.
Dass der 64-Jährige enorm von sich überzeugt ist, berichten auch tschechische Journalisten und Ex-Mitarbeiter seiner populistisch-liberalen Partei ANO. Die Selbstsicherheit von Babis speist sich demnach aus dessen geschäftlichen Erfolgen. Der gebürtige Slowake ist durch den Konzern Agrofert, der zunächst in der industriellen Landwirtschaft groß wurde und mittlerweile ein Mischkonzern ist, zum Milliardär geworden. Er betont deshalb gerne, dass er als erfolgreicher Manager das Land besser führen könne als die Politiker, die nur schwätzen statt zupacken und Taten setzen würden. Das ist nicht nur ein Werbeslogan, sondern spiegelt tatsächlich das Selbstverständnis des Regierungschefs wider. Babis ist ein Macher und kein Mann, der den Konsens sucht.
Babis zeigt kein Verständnisfür die Proteste
Genauso reagiert Babis auch auf die Protestwelle, mit der er derzeit konfrontiert ist: selbstbewusst, mit Unverständnis, zu keinem Dialog bereit. Die Demonstranten hätten freilich das Recht, gegen die Regierung zu demonstrieren. Doch sehe er keinen Grund dafür, meinte er, als die Protestwelle, die im April losging, immer mehr ins Rollen kam.
Und überhaupt sei es der tschechischen Gesellschaft noch nie so gut gegangen wie jetzt. "Man gewinnt den Eindruck, je mehr wir hineinpumpen, desto unzufriedener werden die Leute."
So kommentierte Babis laut tschechischen Medienberichten von Montag den Umstand, dass er am Sonntag mit der größten Demonstration konfrontiert war, die Prag seit der Samtenen Revolution 1989 gesehen hat. Rund 250.000 Leute versammelten sich im Letna-Park. "Wir sind nicht deine Angestellten", hieß es auf einigen Plakaten. "Schande" und "Rücktritt" auf anderen.
Die Proteste haben damit eine ungeheure Dynamik bekommen. Was als Bewegung einiger Studenten begann, setzt nun Babis unter Druck, wie er es seit seinem Einstieg in die Politik - 2011 gründet er die Partei ANO, 2014 wurde er Finanzminister, 2017 nach dem Wahlsieg von ANO wurde er Premier - noch nicht erlebt hat.
Babis scheint aber weiter daran festhalten zu wollen, jedes Gespräch mit den Organisatoren der Proteste, der Bewegung "Millionen Momente für Demokratie" zu verweigern. Fraglich ist aber auch, welche Gesprächsbasis es dafür gäbe. Denn seine Gegner fordern den Rücktritt von Babis, und es ist schwer abzusehen, wie der Regierungschef sie davon abbringen könnte.
Die Demonstranten stoßen sich an den Finanzaffären, mit denen Babis in Verbindung gebracht wird - so steht er im Verdacht, sich für das Luxusressort "Storchennest" EU-Subventionen erschlichen zu haben. Sie sind empört darüber, dass mit Marie Benesova eine Babis-Vertraute zur Justizministerin ernannt wurde - just in dem Moment, in dem die Behörden wegen der Affäre Storchennest eine Anklage gegen Babis empfohlen haben.
Organisatoren der Demo wollen nun Schwung mitnehmen
Und auch wenn Babis sich von seinen Anteilen von Agrofert getrennt und sie treuhänderisch an zwei Stiftungen übergeben hat - für seine Gegner ist seine Regentschaft als solche ein Interessenskonflikt. Nicht zuletzt deshalb, weil Agrofert mittlerweile auch Zeitungen und den populärsten Radiosender besitzt.
Auch die politische Opposition sucht die Gunst der Stunde zu nutzen und will noch diese Woche einen Misstrauensantrag gegen Babis stellen. Doch im Parlament hat dieser wenig zu fürchten: Seine Partei ANO ist ganz auf Babis ausgerichtet. Die mit ihm koalierenden Sozialdemokraten fürchten bei Neuwahlen um ihr politisches Überleben. Und die Kommunisten, die diese Koalitionsregierung dulden, haben dadurch Einfluss wie seit 1989 nicht mehr.
Unter den Oppositionsparteien hat sich noch keine Persönlichkeit gezeigt, die Babis herausfordern könnte. Auch deshalb ist nun die Zivilgesellschaft, sind die Demonstranten auf der Straße zur stärksten Oppositionskraft geworden. "Millionen Momente für Demokratie" hat es geschafft, die Unzufriedenen, die sich lange bedeckt gehalten haben, auf die Straße zu bringen.
Entscheidend wird nun sein, ob es der Organisation auch gelingt, dass sich Babis-Wähler von diesem abwenden. Bisher sind diese trotz aller Vorwürfe hinter dem umstrittenen Polit-Milliardär gestanden und haben ANO bei der letzten Wahl mit fast 30 Prozent der Stimmen zur weitaus stärksten Partei in Österreichs Nachbarland gemacht.
Die Babis-Gegner aus der Zivilgesellschaft wollen nun an verschiedenen Orten Tschechiens Gesprächsrunden abhalten. Und spätestens im November, wenn sich die Samtene Revolution zum 30. Mal jährt, soll die nächste Großdemonstration stattfinden.