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Tschechischer Politologe: "Babis wurde ein linker Populist"

Von Klaus Huhold

Politik

Trotz aller Skandale steht Premier Babis vor Wiederwahl. Warum das so ist, erklärt der Politologe Jiri Pehe.


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Er ist gekommen, um zu bleiben. Andrej Babis, Milliardär und Gründer des Konzerns Agrofert, führt mit seiner Bewegung ANO in den Umfragen vor der tschechischen Parlamentswahl, die am Freitag und Samstag stattfindet.

Ihm gefährlich werden können zwei Bündnisse. Einerseits "Gemeinsam", das aus traditionellen Parteien besteht: Nämlich aus der ODS, die einst mit Vaclav Klaus an der Spitze das Land anführte, der Partei Top 09, bei der Karel Schwarzenberg noch Ehrenvorsitzender ist, und den Christdemokraten. Der zweite Zusammenschluss ist der aus Piraten und Stan: Das sind zwei relativ neue Bewegungen, wobei die Piraten vor allem jüngere, urbane Wähler ansprechen und Stan den ländlichen Raum und ältere Wähler bedient.

Sicher ins Parlament kommen wird auch die rechtspopulistische Partei SPD des Halbjapaners Tomio Okamura. Um den Einzug zittern müssen hingegen die Sozialdemokraten (CSSD) und Kommunisten (KSCM), die einst zu den größten Parteien zählten. Über die Fünf-Prozent-Hürde springen könnte auch die von einem Ex-Polizisten neu gegründete Partei "Der Schwur". Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Prager Politologen Jiri Pehe über die Wahlen, und wie es danach weitergehen könnte.

"Wiener Zeitung": Genau eine Woche vor der Wahl kam auf, dass Premier Babis offenbar über Briefkastenfirmen ein Schloss in Frankreich gekauft hat. Wird ihm das schaden?

Jiri Pehe: Das ist schwer einzuschätzen. Babis umgeben ja schon einige Skandale und Kontroversen. So gibt es im Fall des Wellness-Ressort Storchennest (das Babis Verwandten überschrieb und es dann wieder in seinen Konzern eingliederte, Anm.) Untersuchungen, ob das Vorgehen kriminell war, und die EU prüft, ob bei Babis ein Interessenskonflikt vorliegt. Bisher hat das seine Wählerbasis kaum erschüttert. Der jüngste Fall könnte aber Auswirkungen haben, weil sich Babis als Bekämpfer der Korruption präsentiert und derartige Offshore-Konstruktionen kritisiert hat. Nun muss er sich der Öffentlichkeit erklären.

Und er macht das, indem er von einer Verschwörung seiner Gegner spricht. Auch wenn seine Anhänger Babis weiter folgen, könnte es nicht sein, dass diese Kontroverse für die Opposition mobilisiert?

Das ist gut möglich. So sympathisieren viele junge Leute mit den Piraten. Gleichzeitig liegen Umfragen vor, dass bis zu 50 Prozent der 18- bis 50-Jährigen der Wahl fernbleiben wollen. Wenn diese nun doch wählen gehen, weil sie genug von Babis haben, könnte das einen Effekt haben.

Der Geschäftsmann Babis hat sich immer als der beste Manager für Tschechien präsentiert. Nun war sein Management der Corona-Krise ein Desaster - Tschechien hat eine fast dreimal so hohe Todesrate wie Österreich. Wie ist es möglich, dass er trotzdem die Umfragen anführt?

Babis versteht es sehr gut, wenn er in Schwierigkeiten kommt, die Dinge umzudrehen. Er hat dabei - das ist bei einem Milliardär nicht überraschend - ein sehr professionelles PR-Team hinter sich. Dieses ist geübt darin, die Menschen vergessen zu lassen und den Fokus woanders hinzulenken. Nun wird erzählt, wie gut Tschechien wieder dasteht. Gleichzeitig verabsäumt es die Opposition, Druck auf Babis auszuüben. Wenn er etwa in einer TV-Debatte sagt, dass es sich um eine Naturkatastrophe handelte, bei der die Regierung improvisieren musste und kleine Fehler machte, aber insgesamt eine sehr gute Strategie hatte, stellt kein Oppositionsführer die logische Frage: Warum zählt dann Tschechien bei dieser Naturkatastrophe zu den fünf am stärksten betroffenen Ländern?

Wer sind die Wähler von Babis?

Als Babis 2013 in die Politik einstieg, umwarb er Wähler der Mitte-rechts-Parteien, die über die Korruption enttäuscht waren. Aber mit der Zeit realisierte er, dass diese Wähler oft zu anspruchsvoll sind, als dass er sie mit seinen populistischen Versprechen einfangen könnte. Er hat daraufhin seine Bewegung in Richtung linken Populismus verschoben. Nun sind seine Wähler großteils ältere Leute, die oft auch einen geringeren Bildungshintergrund haben. Sie sind sehr loyal und dankbar, dass er die Pensionen immer wieder erhöht hat. Dass sich ihr Lebensstandard verbessert hat, zählt für sie mehr als all die Skandale des Premiers. Zudem zielt Babis auf Wähler ab, die sich sonst weit rechts stehende Parteien zuwenden würden. Babis schafft eine Atmosphäre der Angst und verspricht, dass er das Land vor Migration beschützen und es mit ihm keine gemeinsame europäische Asylpolitik und keine Flüchtlingsquoten geben wird. Darüber hinaus umgarnt er Wähler mit Steuersenkungen - auch wenn diese die Staatsschulden in die Höhe treiben.

Wenn ANO die Wahl gewinnt, wird Babis dann auch wieder regieren.

Er wird auf alle Fälle den Regierungsauftrag erhalten, auch wenn er Zweiter wird. Denn Präsident Milos Zeman, der eine ähnliche Wählerbasis bedient, hat schon angekündigt, dass er dem Vorsitzenden der stärksten Partei den Regierungsauftrag übertragen wird. Auch wenn eines der beiden Parteienbündnisse, also Gemeinsam oder der Zusammenschluss aus Piraten und Stan, die meisten Stimmen haben sollte - die stärkste Einzelpartei wird ANO sein. Zeman kümmert sich nicht darum, dass er mit seinem Vorgehen die Verfassung ignoriert, und er wird wahrscheinlich ein Spiel auf Zeit in Gang setzen. Und je mehr Zeit vergeht, desto stärker wird der Druck auf andere Parteien werden, mit ANO eine Regierung zu bilden - zumal Tschechien im Juli kommenden Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Gemeinsam sowie Piraten und Stan könnten aber zusammen eine Mehrheit haben. Wie nahe stehen sich die beiden Bündnisse?

Sie sind sich nicht sehr nahe. Gemeinsam besteht aus traditionellen, konservativen Parteien, die auch Teil der Transformationsjahre waren und von vielen deshalb kritisch betrachtet werden. Piraten und Stan sind neue, liberale Parteien, die diesen Rucksack nicht herumtragen. Ein gemeinsames politisches Programm zu finden, wird sehr schwierig sein. Der einzige vorstellbare Kompromiss wird vielleicht sein, dass sie ein programmatisches Minimum finden, um Babis von der Macht fernzuhalten und das Land in Neuwahlen führen, sobald Zeman im März 2023 nicht mehr Präsident ist.

Die Sozialdemokraten haben mit Babis regiert, die Kommunisten diese Regierung geduldet. Warum müssen sie nun beide um den Einzug ins Parlament bangen?

Weil Babis mit seinem Schwenk nach links ihnen ihre Wähler weggenommen hat. Nun wird eine der entscheidenden Fragen sein, ob nicht der jüngste Skandal vielleicht doch manche Babis-Wähler so enttäuscht hat, dass sie wieder zu den Sozialdemokraten und Kommunisten zurückkehren.

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