Tschetschenen sollen vermehrt ausgewiesen werden. | Flüchtlingsstrom hält weiter an. | Innenministerium will Tschetschenen bei Rückkehr finanziell unterstützen. | Wien. 13.000 Tschetschenen in Österreich fürchten, dass sie bald in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Wie der tschetschenische Fernsehsender Vainach am Wochenende berichtete, einigte sich "die tschetschenische Regierung bei einer Konferenz in Wien mit der EU darauf, alle Tschetschenen ohne Asyl zurückzuschicken." Dies würde demnach Menschen in nicht abgeschlossenen Asylverfahren betreffen.
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Unter tschetschenischen Flüchtlingen in Österreich ließ die Meldung die Wogen hochgehen. Politisch verfolgte Tschetschenen argumentieren, dass sie daheim mit Folter und Tod rechnen müssen. Das Innenministerium (BMI) dementiert den Bericht der staatlichen TV-Anstalt: "Es ging um finanzielle Unterstützung für freiwillig heimkehrende Tschetschenen", korrigiert BMI-Sprecher Rudolf Gollia. "Es gab auch keine Einigung mit der EU." Insgesamt nahmen zehn Staaten an der von der "International Organisation for Migration" organisierten Tagung teil, neben EU-Ländern wie Deutschland und Polen war auch die Schweiz dabei.
Kritik an neuer Studie des Innenministeriums
Die Zahl freiwilliger tschetschenischer Heimkehrer steige an, wie in der jüngst vom BMI herausgebrachten Studie "Soziale Infrastruktur in Tschetschenien" betont wird. Während zwischen 2003 und 2007 EU-weit gerade einmal 1500 Tschetschenen zurückkehrten, waren es allein im Jahr 2008 schon 1200, rund 170 davon aus Österreich. 2009 kehrten bereits in den ersten fünf Monaten 168 tschetschenische Flüchtlinge aus Österreich zurück. Ebenso heißt es in der Studie, dass in Tschetschenien "Pensionen, Kindergeld, Invalidenrente auch tatsächlich ausbezahlt werden". Gestützt auf Interviews mit 50 heimgekehrten Tschetschenen kommt man darin zum Schluss, "dass es in Tschetschenien in den letzten Jahren zu erkennbaren Verbesserungen im Bereich der sozialen Infrastruktur gekommen ist".
Auf scharfe Kritik stößt der Report beim Wiener Politikwissenschafter Thomas Schmidinger: "Hier wird mit wissenschaftlich völlig untauglichen Mitteln versucht, die Situation in Tschetschenien zu beschönigen um einer restriktiveren Asylrechtssprechung gegenüber Tschetschenen den Boden zu bereiten."
Tatsächlich denken die meisten Tschetschenen nicht an Heimkehr. Im Gegenteil: Tschetschenen stellten in Österreich in den letzten Jahren die mit Abstand größte Gruppe an Asylwerbern dar. Von 170.000 Asylanträgen, die seit 2002 eingereicht wurden, kamen rund 31.000 aus Tschetschenien. Die Anerkennungsrate liegt bei über 33 Prozent. Auch heuer änderte sich dieser Trend nicht: 2897 Tschetschenen suchten bisher um Asyl an, die zweitgrößte Gruppe sind die Afghanen mit 1382 Asylanträgen. Insgesamt leben geschätzte 25.000 Tschetschenen in Österreich. Seit 2002 wurden 12.000 Asylanträge positiv beantwortet.
Russische Spione unter den Flüchtlingen?
Seit es Russland gelang, eine pro-russische Regierung in Tschetschenien durchzusetzen, ist die tschetschenische Bevölkerung gespalten. Dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow "gibt Putin scheinbar freie Hand", meint der deutsche Publizist und Leiter des Tschetschenischen Kulturzentrums Berlin Ekkehard Maaß. Gefürchtet ist die Kadyrowsky, "eine Privatarmee, die seit vielen Jahren für willkürliche Verschleppungen, Folter, Erpressung, Vergewaltigungen und illegale Hinrichtungen bekannt ist", so Maaß.
Ein zentrales Problem ist für die heimischen Behörden nur schwer zu lösen: Unter die Asylwerbenden mischen sich russische Spitzel, die für die tschetschenische Regierung arbeiten. Einige von ihnen haben sogar Asylstatus. Von diesen sind einige in ihre Heimat zurückgekehrt und haben dem tschetschenischen TV berichtet, wie schlimm ihre Lage in Österreich sei. Gollia bestreitet diese Problemlage nicht. Er vermutet, dass einige Tschetschenen angesichts der politisch instabilen Lage die Seiten wechseln.
Angst vor Islamismus aus Tschetschenien
Die Spione sind unter politischen Gegnern gefürchtet. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" wollen sie daher anonym bleiben. Sie glauben nicht, dass sie die heimische Polizei ausreichend schützen kann. Im Jänner 2009 sorgte die Ermordung des Flüchtlings Umar Israilov in Wien für öffentliches Aufsehen. Seine Wirkung hat der Vorfall bis heute nicht verfehlt.
Einige Beobachter kritisieren die Haltung der Behörden. "Putin gelang es nach dem 11. September, den tschetschenischen Widerstand als Terrorismus im Sinne von Al-Kaida darzustellen", so Schmidinger. "Im Kopf der Polizei steckt die Angst vor Tschetschenen mit langem Bart fest", berichtet ein tschetschenischer Asylant. Deshalb kooperierten die heimischen Behörden mit den Russen.
Gollia betont, dass die tschetschenische Regierung international anerkannt ist. Für die Zukunft der Tschetschenen in Österreich ist er zurückhaltend: "Ich möchte die Zukunft nicht antizipieren."
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