Wie viel Handlungsspielraum hätte der Linke Alexis Tsipras als Premier?
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Athen. Stavros Dimas ist am Dienstag auch im zweiten Anlauf mit dem Versuch gescheitert, neuer griechischer Präsident zu werden. Nur 168 der anwesenden 299 Abgeordneten stimmten im Parlament für den Ex-EU-Kommissar. Damit muss der Kandidat von Ministerpräsident Antonis Samaras am 29. Dezember in die dritte Runde - dann reicht die Zustimmung von 180 statt 200 Abgeordneten. Fällt Dimas abermals durch - wovon viele ausgehen -, wird im Jänner oder Anfang Februar ein neues Parlament gewählt. So will es die griechische Verfassung.
Dann hätte die linke Sammelbewegung Syriza unter Alexis Tsipras beste Chancen, zur stärksten Partei aufzurücken. Sie will den harten Sparkurs der jetzigen Regierung nicht fortführen, will das Kapital bändigen und Reiche zur Kasse bitten. Mit den internationalen Kreditgebern des bankrotten Landes sollen neue Konditionen ausverhandelt werden.
Zugeständnisse
Die, die den Status quo verteidigen, hoffen, dass Samaras weitere Zugeständnisse an die Opposition macht und so doch noch eine Mehrheit für den 29. Dezember zusammenbekommt. Allerdings gibt es auch im Regierungslager einige, die ein Ende mit Schrecken - und damit rasche Neuwahlen - begrüßen. Sie gehen davon aus, dass Tsipras als Premier wenig Handlungsspielraum hätte und das Land die Bahn, die die Geldgeber-Troika vorgegeben hat, nicht verlassen wird.
Samaras versucht vor dem entscheidenden 29. Dezember, der Opposition ein möglichst verlockendes Angebot zu machen - um zu retten, was zu retten ist. Er will "europäisch gesinnte" Kräfte an seiner Regierung beteiligen, um dann später im Jahr 2015 Neuwahlen auszuschreiben. Bis jetzt hat die Opposition derartigen Verlockungen widerstehen können.
In den Reihen der Opposition regiert die Auffassung, dass die Sparauflagen die Wirtschaft abgewürgt und zu enormer Arbeitslosigkeit und geführt haben. Während die Arbeitslosigkeit tatsächlich massiv gestiegen ist - mehr als 50 Prozent der Jugend ist ohne Job -, ist die Wirtschaft zuletzt wieder gewachsen. Das ist allerdings allein auf die gute Tourismus-Saison im vergangenen Sommer zurückzuführen.
Syriza macht klar, dass man einen beträchtlichen Teil des griechischen Schuldenberges streichen lassen würde. Damit müssen die Kreditgeber um Milliarden Euro bangen.
Ob Tsipras - immer vorausgesetzt, er gewinnt die Wahlen - tatsächlich das Füllhorn über den unter dem Sparzwang seit Jahren leidenden Griechen ausschütten kann, wird angezweifelt. Apologeten des griechischen Status quo sind davon überzeugt, dass die internationalen Kreditgeber auf den Sparauflagen beharren werden und Tsipras das - zähneknirschend - akzeptieren wird. Sonst werde der Geldhahn einfach abgedreht und Athen müsse sich das dringend benötigte Geld auf dem freien Markt besorgen - ein Ding der Unmöglichkeit.
"Spielraum ist geschrumpft"
Tsipras selbst ist optimistisch, dass er das Ruder herumreißen kann: Wenn die Unterstützung durch das Volk stark ausfalle, dann seien echte Verhandlungen mit den internationalen Kreditgebern möglich, so der Syriza-Chef.
Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister meint im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass Tsipras "jetzt weniger Spielraum hat, als er bei den letzten Wahlen 2012 gehabt hätte". Damals habe in der EU die Auffassung gegolten, dass die gesamte Währungsunion bedroht wäre, sollte Griechenland die Eurozone verlassen.
Das sei nun nicht mehr gegeben, daher sei "Tsipras’ Erpressungspotenzial limitiert". Auf der andern Seite sei klar, "dass der Troika langsam dämmert, dass die Sparpolitik in Griechenland - aber nicht nur hier - kontraproduktiv war", so Schulmeister. Denn exakt in den Ländern, in denen am meisten gespart worden sei, sei die Staatsschuldenquote am steilsten gestiegen. Das gelte für Griechenland, Portugal und Spanien. Aber auch in Großbritannien habe sich die Staatsschuldenquote verdoppelt. Der Spielraum hinsichtlich einer möglichen Einsicht bei den Kreditgebern sei eindeutig größer geworden, meint Schulmeister.
Das Argument, dass die griechische Wirtschaft trotz der Sparauflagen zuletzt gewachsen sei, lässt Schulmeister so nicht gelten. "Das Land befindet sich in einer Depression, wie es kein Industrieland seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat", so der Ökonom. "Ein einzelnes Quartal ist da nicht aussagekräftig." Man werde sich "in zehn bis zwanzig Jahren fragen, wie die Politik so engstirnig handeln konnte". Beispielsweise hätten 40 Prozent der Griechen mittlerweile keine ordentliche Sozialversicherung mehr.
"Fiskalpakt funktioniert nicht"
Die "Einsicht, dass der Fiskalpakt nicht funktioniert", breitet sich laut Schulmeister auch in Brüssel aus. "Junckers Investitionspaket ist der Versuch, das eigene Regelwerk zu umgehen." Der Kommissionspräsident habe begriffen, dass öffentliche Investitionen notwendig seien. Aufgrund des Fiskalpaktes seien dem Staat aber die Hände gebunden. "Jetzt sollen eben Private staatliche Aufgaben übernehmen, bei garantiertem Gewinn."
Schulmeister sieht Tsipras nicht von vorneherein auf verlorenem Posten. Dieser müsse bewerkstelligen, dass "die existierenden Steuergesetze umgesetzt werden". "Es ist bekannt, dass die Reichen in Griechenland de facto keine Steuern zahlen." Wenn es hier zu einer engeren Kooperation mit anderen EU-Ländern, insbesondere aber mit der Schweiz komme, hätte Tsipras gewonnen.
Aus der Sicht Tsipras’ wäre es nützlich, "im Wahlkampf gemäßigte Töne anzuschlagen und in die Mitte zu rücken", so Schulmeister: "Er könnte argumentieren, dass auch Deutschland seine Steuersünder in der Schweiz verfolge, dieses Recht sollte Griechenland auch haben."