Seit 20. Februar ringt die Eurogruppe mit Griechenland. Nun strebt das pleitebedrohte Land den langfristigen "großen Wurf" an - statt das auslaufende Hilfsprogramm abzuschließen.
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Athen. Drei Fernsehkameras stehen schon am Eingang, dutzende Besucher sitzen auf der Treppe vor dem völlig überfüllten Saal. Einen derart großen Andrang im unscheinbaren Gebäude der Journalistengewerkschaft Esiea in Athen hatten die Organisatoren der Veranstaltung "Konfrontation mit den Kreditgebern jetzt!" an diesem sommerlich warmen Dienstagabend nicht erwartet. Die Hitze im Raum ist unerträglich. "Bruch mit der Sparpolitik! Schluss mit den Privatisierungen! Schuldenschnitt!", steht auf einem knallroten Poster.
"Wer ist unser Gegner?", fragt Jannis Milios in die Runde. Er gibt die Antwort selbst: "Die Strategie des Kapitals in Griechenland und Europa." Viele im Publikum nicken. "Was hat unsere Regierung zu tun, sollte eine Einigung mit den Gläubigern nicht möglich sein?", legt Milios nach. Mit fester Stimme gibt er erneut gleich die Antwort: "Den Schuldendienst einstellen, zugleich aber in der Eurozone bleiben."
Milios, 63, bis Mitte März immerhin Chefökonom im regierenden "Bündnis der Radikalen Linken" ("Syriza"), ist der Überraschungsredner auf dem Podium. Der eloquente Wirtschaftsprofessor, ein bekennender Euro-Befürworter, sitzt nun neben drei ultralinken Mitgliedern des 13-köpfigen Syriza-Politbüros, des obersten Syriza-Parteiorgans.
Das Trio macht anders als Milios zwar auch an diesem Abend keinen Hehl daraus, worin es das Heil Griechenlands sieht: Der "Grexit", Hellas’ Ausstieg aus der Eurozone, soll es richten. Was Milios und das Trio aber eint: ihre Forderung nach der Einstellung des Schuldendienstes an Athens öffentliche Gläubiger EU, EZB und IWF - und zwar sofort.
Von Anfang an war für sie das, was Regierungschef Alexis Tsipras bisher geradezu gebetsmühlenartig propagierte - dass ein "ehrbarer Kompromiss" zwischen Athen und seinen Kreditgebern möglich sei -, nur eines: pure Utopie. Nun sehen sich Tsipras innerparteiliche Kritiker bestätigt. Athen kam zwar mit seinen öffentlichen Gläubigern bei der Einigung in der Eurogruppe vom 20. Februar zu der Übereinkunft, das Ende Februar auslaufende Hellas-Hilfsprogramm bis Ende Juni zu verlängern. Der Deal: Hellas habe den von den Athener Vorgängerregierungen eingeleiteten Reformpfad fortzusetzen - als Gegenleistung winke im Rahmen des laufenden Hilfsprogramms die Überweisung offener Gelder von 7,2 Milliarden Euro. Und danach sehe man weiter.
Nur: Schon seit Wochen verhandeln Experten beider Seiten in der auf Wunsch der neuen Athener Regierung eingerichteten "Brüsseler Gruppe" über eine Reformliste für Hellas - bisher ohne jegliches Ergebnis.
Tsipras will "große Einigung"
Nun ändert Tsipras die Taktik: Er strebt direkt eine mittel- und langfristig geltende "große Einigung" an, anstatt wie vereinbart zuvor das Ende Juni auslaufende Hilfsprogramm abzuschließen. Dies ist ein klarer Kurswechsel in Athen. Tsipras hat seinem Plan hierzulande öffentlich einen etwas holprigen Titel verpasst: "Einheitliche Einigung und Lösung zum Wachstum und der Rückkehr zu den internationalen Kapitalmärkten". Er knüpfe die von ihm nun angestrebte Übereinkunft, die schon in den nächsten Tagen erzielt werden solle, an vier Voraussetzungen, unterstrich Tsipras: Erstens müssten für Athen 2015 und 2016 "niedrige" primäre Haushaltsüberschüsse (ohne Schuldendienst) als Zielvorgabe gelten. Ferner dürfe es "keine neuerlichen Kürzungen" bei Löhnen, Gehältern, Pensionen und Gehältern geben. Drittens sei die griechische Staatsschuld "umzustrukturieren". Nur so könne "der Teufelskreis" der letzten fünf Jahre beendet werden, in denen Athen gezwungen war, neue Kredite aufzunehmen, nur um alte Kredite zu begleichen. Schließlich brauche das Land ein "starkes" öffentliches Investitionsprogramm.
Will heißen: Tsipras geht aufs Ganze - und schiebt den Gläubigern zugleich den schwarzen Peter zu. Denn seine Lesart lautet: Die ominöse Brüsseler Eurogruppen-Einigung vom 20. Februar sei von den Gläubigern selbst nicht eingehalten worden.
Das Problem: Ohne Einigung bis Ende Juni würden die offenen Kreditzahlungen aus dem laufenden Hilfsprogramm für das südeuropäische Land verfallen. Experten haben aber errechnet, dass die Griechen schon ab diesem Sommer bis 2016 für ihren Schuldendienst sogar zusätzliche Gelder im Volumen von 30 bis 50 Milliarden Euro brauchen. Doch derzeit herrscht Unklarheit darüber, ob Tsipras überhaupt neue Hilfsmilliarden für Athen haben will. Tsipras’ Schweigen in diesem Punkt hat gute Gründe: Schon jetzt sind etwa einem Drittel der 149 Syriza-Abgeordneten die von Tsipras bereits gemachten Zugeständnisse an die Gläubiger wie die Fortsetzung der Privatisierungen oder die Beibehaltung der verhassten Immobiliensteuer ein Dorn im Auge. Hierzulande gilt es als sicher, dass die Rebellen ein weiteres schmerzliches Spar- und Reformpaket im Athener Parlament niederstimmen würden.
Niemand will Neuwahlen
Ein Volksentscheid in dieser Frage wäre verfassungsrechtlich bedenklich, ein neuerlicher Urnengang mitten in der Tourismussaison würde zudem der darbenden Realwirtschaft den Todesstoß versetzen, fürchten Experten. Da passt es ins Bild, dass laut einer jüngsten Umfrage der Universität Makedonien lediglich sechs Prozent der Griechen vorgezogene Wahlen wünschten.
Doch mit Tsipras Verhandlungsstrategie sind immer weniger Griechen zufrieden. Hatten im Februar noch 72 Prozent der Befragten eine positive Meinung darüber, fiel der Wert nun auf noch 35 Prozent. 41 Prozent der Befragten bewerten Tsipras’ Strategie ausdrücklich als "falsch".
Vom wachsenden Unmut über die Regierung kann die Athener Opposition jedoch nicht profitieren. Im Gegenteil: Bei der Sonntagsfrage liegt Syriza mit 36,5 Prozent der Stimmen klar vor der konservativen Nea Dimokratia unter Ex-Premier Antonis Samaras (15,5 Prozent). Der Vorsprung der Tsipras-Partei auf Samaras hat sich damit seit dem wegweisenden Urnengang am 25. Jänner beinahe verdreifacht.