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"TTIP hat es Kanada schwer gemacht"

Von Alexander U. Mathé

Wirtschaft

Der kanadische Chefverhandler des Freihandelsabkommens zwischen EU und Kanada, Ceta, über den Stand der Dinge.


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"Wiener Zeitung":Vor ziemlich genau einem Jahr haben sich Kanadas Premierminister Stephen Harper und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf das Freihandelsabkommen Ceta geeinigt. Vergangene Woche haben die beiden offenbar noch einmal dasselbe getan. Was ist in diesem Jahr geschehen?

Steve Verheul: Vor einem Jahr ist es eher um die Kernpunkte und politischen Themen gegangen. Danach wurde an den Details gearbeitet und die prinzipiellen Einigungen in Text gefasst, der dann allmählich zu einem Vertragstext geformt wurde. So etwas braucht nun einmal viel Zeit.

Bei dem Treffen letzte Woche sollte das Abkommen paraphiert (ein noch nicht rechtskräftiges Bekenntnis zu dem Text, wie er vorliegt, Anm.) werden. Dazu kam es aber nicht. Warum?

Gemäß EU-Vorschriften werden keine Texte paraphiert, solange diese nicht einer abschließenden juristischen Prüfung unterzogen wurden. Die läuft derzeit noch und sollte innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein. Auch in Kanada paraphieren wir keinen Text, solange er juristisch nicht geprüft wurde.

Wie mühsam ist es für Kanada, immer wieder Aufschübe und fortwährende Ergänzungen sowie Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten von europäischer Seite hinzunehmen?

Zweifelsohne ist die EU mit ihren Mitgliedstaaten und der Befugnisaufteilung mit der EU-Kommission sehr komplex. Es dauert sehr lange, bis man alle Hindernisse aus dem Weg räumen kann. Noch dazu hatten wir ein sehr ehrgeiziges Verhandlungsziel und haben den Mitgliedstaaten und der Kommission auch einiges abverlangt.

Wie sehr hat es die Verhandlungen beeinflusst, dass Ceta als Blaupause für das EU-US-Abkommen TTIP gilt?

Das Timing hat die Diskussion über Ceta erschwert. Hätte es die EU-US-Verhandlungen nicht gegeben, wäre niemandem groß etwas aufgefallen und Ceta wäre ohne weitere Aufmerksamkeit durchgegangen. Wir hoffen einfach, dass der Kollateralschaden nicht zu groß sein wird. Die USA werfen einen größeren Schatten als Kanada und es wird daher auch stärkere Reaktionen auf das US-Abkommen geben als auf uns. Wir haben mit Ceta eine Brücke zwischen einem nordamerikanischen Ansatz für Freihandelsabkommen und dem Modell der EU - das diese für sich selbst entwickelt hat - gebaut. Das Ergebnis ist eine Kreuzung, von der beide Seiten profitieren können.

Derzeit ist die Investitionsschutzklausel ISDS sehr umstritten. Könnten Sie ohne diese leben?

Die EU und Kanada haben ISDS als Teil eines Gesamtpakets verhandelt. Wenn die EU jetzt zu uns kommt und Investorenschutz nicht mehr im Abkommen haben möchte, würde das gesamte Abkommen wieder geöffnet. Wir sind klar gegen diese erneute Öffnung der Verhandlungen. Es ist immer gefährlich, wenn nur eine Seite die Verhandlungen wieder eröffnet. Die feine Balance, die über die Jahre gefunden wurde, gäbe es dann nicht mehr. Bei einer neuerlichen Austarierung läuft man Gefahr, alles andere auch aufzutrennen.

Mit Deutschland ist immerhin ein gewichtiger Partner gegen ISDS. Nehmen wir an, die EU möchte tatsächlich den Investorenschutz aus dem Abkommen nehmen. Fällt Ihnen etwas ein, was Sie im Gegenzug gerne hätten?

Nein. Die Herausnahme von ISDS würde uns große Sorge bereiten. Die EU-Mitgliedstaaten haben insgesamt an die 1400 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Wir befänden uns dann in einer Situation, in der unsere Investoren auf dem EU-Markt trotz dieses umfassenden Abkommens schlechtergestellt wären als viele andere Länder. Denen gegenüber - darunter viele Entwicklungsländer - wären wir diskriminiert. Das empfinden wir nicht als fair.

Bei diesen Ländern handelt es sich fast ausschließlich um Länder der Dritten Welt und der Investorenschutz dient vor allem dem Schutz europäischer Investoren. Kanada und die EU-Mitgliedstaaten sind hingegen OECD-Länder, die über gut funktionierende Rechtssysteme verfügen. Ist so eine Klausel wirklich nötig?

Die Schwierigkeit liegt darin, dass die nationalen Gerichte in Kanada und der EU nicht über Angelegenheiten eines völkerrechtlichen Vertrags urteilen können. Verpflichtungen und Vorschriften, die in Ceta verankert sind, können Investoren also nicht vor ein nationales Gericht bringen. Die einzige Möglichkeit dazu bietet der Vertrag selbst und die darin enthaltene ISDS-Klausel. Ohne diese müssten die EU und Kanada diese Fälle im Namen dieser Investoren ausfechten. Keine von beiden Seiten hatte Lust, sich darauf einzulassen. Daher haben wir alle bereits geschlossenen Investorenschutzabkommen hergenommen und versucht, sie zu verbessern. Wir haben ISDS neu ausgerichtet, und zwar zugunsten des staatlichen Regulierungsrechts. Dieses Recht ist in Ceta viel ausgeprägter und geschützter als in anderen Verträgen. Wir haben die Transparenz verbessert. Die Gerichte werden für die Öffentlichkeit zugänglich sein; jeder kann einen Antrag einbringen. Außerdem haben wir den Gerichten klare Richtlinien zu dem, was wir uns erwarten, vorgelegt.

Das haben Sie sicher auch den Deutschen erklärt. Warum, glauben Sie, besteht Berlin trotzdem auf der Herausnahme von ISDS?

Die Position, die wir von der deutschen Regierung ebenso wie von der EU-Kommission erhalten, ist, dass derzeit niemand gegen Ceta opponiert. Deutschland hat erklärt, dass es Ceta unterstützt, die EU-Kommission hat erklärt, dass alle 28 Mitgliedstaaten Ceta inklusive ISDS unterstützen. Wir haben auch keine Einladung zu einer Neuverhandlung erhalten oder irgendein Anzeichen dafür, dass irgendein Mitgliedstaat das Abkommen ablehnen würde.

Es gibt Kritik an der Negativliste zur Liberalisierung in dem Vertrag und daran, dass eine einmal erfolgte Privatisierung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Wir haben zwei Anhänge im Vertrag. Was unter Anhang 1 verzeichnet ist, erhält in der Tat ein "lock in", das heißt, dass eine einmal erfolgte Liberalisierung nicht rückgängig gemacht werden darf. Da geht es um Bereiche, in denen beide Seiten eine Liberalisierung vorantreiben wollen. Anhang 2 hingegen bedeutet völlige Gestaltungsfreiheit. Dort finden sich so sensible Bereiche wie Gesundheit, Sozialleistungen, Kultur usw.

Jetzt findet sich beispielsweise die Wasserversorgung in Anhang 2, die Wasserentsorgung aber in Anhang 1. Warum fallen nicht beide unter Anhang 2?

Bei der Wasserentsorgung haben wir Verpflichtungen übernommen, die wir bereits im Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, Gats, eingegangen sind. Das ist also nichts Neues.

Aber ist das nicht grundsätzlich problematisch? In Paris etwa wurde der Bereich Wasser privatisiert - mit desaströsen Folgen. Erst seit der Rekommunalisierung geht es wieder bergauf. Das wäre mit den Lock-in-Bestimmungen nicht mehr möglich.

Es ist ja kein grundsätzliches Verbot. Wenn eine Regierung zu einem Zeitpunkt beschließt, die Wasserdienstleistungen zu privatisieren und sich dann umentscheidet, heißt das nicht, dass es kein Zurück gibt. Es bedeutet, dass es im Fall einer kanadischen Beteiligung eine Kompensation geben muss, wenn durch diese Entscheidung Verluste entstanden sind.

Ceta ist ein sogenanntes "lebendiges Abkommen", das heißt, auch auf künftige Regulierungen ausgerichtet. Dafür wird es ein gemeinsames Gremium geben, das alles harmonisiert. Wie wird das funktionieren?

Das wird nicht "alles" harmonisieren, das wäre jenseits des Machbaren. Aber in vielen Bereichen wird es einen Dialog zwischen den Behörden geben, um zu sehen, dass wir Regulierungen erlassen, die in dieselbe Richtung gehen. Es ist sehr schwer, bestehende Regulierungen zu harmonisieren - das versucht die EU derzeit mit den USA -, aber es gibt eine größere Chance, Künftiges zu harmonisieren.

Aber wenn dieses Gremium sich einmal für eine bestimmte Regulierung entschieden hat, wird die bindend sein?

Wir werden uns entscheiden können, ob wir etwas harmonisieren wollen oder den jeweils eigenen Standard beibehalten wollen. Es wird keine Kommission geben, die entscheidet, was standardisiert wird. Entschieden wird das von Fall zu Fall von den Regierungen.

Wie hart war es für Kanada, auf Hormonfleisch zu verzichten?

Die Einstellung der EU zu ihrem Verbot haben wir gar nicht erst versucht zu ändern. Wir haben erkannt, dass sich diese Haltung nicht ändern wird, also haben wir Handelsrouten etabliert, über die wir hormonfreies Rindfleisch exportieren können. Dieses wird exklusiv für den europäischen Markt sein.

Nachdem das Abkommen ehrgeizig ist: Wäre es nicht eine gute Gelegenheit gewesen, auch freien Personenverkehr zu verankern?

Es hat ein gewisses Interesse daran gegeben. Aber das wäre ein Schritt zu weit gewesen. Immerhin werden wir nicht Mitglied der EU. Aber wir haben uns dem so nah wie möglich genährt: Wir haben erleichterte Einreiseverfahren für EU-Geschäftsleute nach Kanada und Personalverschiebungen innerhalb von Firmen. Wir haben auch ein Rahmenwerk für die wechselseitige Anerkennung akademischer Qualifikationen.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Abkommen noch scheitert?

Sehr gering. Wir haben die Unterstützung von der EU-Kommission und den 28 Mitgliedstaaten, auch wenn es sicherlich noch Diskussionen vor der Vertragsunterzeichnung geben wird. Die meisten Mitgliedstaaten sehen uns nicht als potenzielle Bedrohung. Es ist ein hochqualitatives Abkommen. Ich bin optimistisch.

Wann wird es so weit sein mit der Vertragsunterzeichnung?

In etwa zwei Jahren.

Steve Verheul ist kanadischer Freihandelsexperte und war an den Verhandlungen zu Nafta und der Welthandelsorganisation beteiligt, bevor er die Leitung der Ceta-Verhandlungen übernahm.