Das EU-Parlament hat die Leitlinien für TTIP ausgelegt.
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Straßburg. Die Resolution zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) ist im EU-Parlament angenommen worden. Im Text angesprochen werden auch die umstrittenen Sonderklagerechte für Investoren, an denen - nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion - schon die letzte Abstimmung zu scheitern drohte, bevor sie von Parlamentspräsident Martin Schulz abgesagt wurde. Monatelang war im EU-Parlament darum gerungen worden, ob im Rahmen des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA (TTIP) ausländischen Investoren ein gesondertes Klagerecht gegen Staaten eingeräumt werden soll. Dieses wird schlagend, wenn sich die Investoren ungerecht behandelt fühlen oder ihnen in Aussicht gestellte Profite durch ein neues Gesetz geschmälert werden.
In der Resolution heißt es nun, dass das System der Schiedsgerichte durch ein neues ersetzt werden soll. Darin sollten "in einem öffentlichen Auswahlverfahren eingesetzte, unabhängige, professionelle Richter in öffentlichen Verfahren" entscheiden. Zumindest einmal solle gegen ein gefälltes Urteil berufen werden können.
Das EU-Parlament nahm die Resolution mit 436 Stimmen an, 241 Abgeordnete waren dagegen. Beschlossen wurde die Resolution mit den Stimmen der EVP, der Liberalen (Alde) sowie eines Teils der europäischen Sozialdemokraten. Von den österreichischen Abgeordneten stimmten ÖVP und Neos dafür, SPÖ, FPÖ und Grüne dagegen.
"Nicht alle ,ISDS-Fans‘"
"Die Abstimmung ist ein Zeichen dafür, dass es im Parlament keine breite Mehrheit gibt, ISDS abzulehnen", sagte SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Allerdings bedeute das nicht, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten, die für den Kompromiss gestimmt haben, "ISDS-Fans" seien. "Die lehnen das genauso ab. Sie waren nur mehr bereit, einen Kompromiss zu akzeptieren, weil es ihnen am Ende des Tages wichtiger war, eine Resolution zu haben, die eine weichere Lösung vorsieht, als gar keine Lösung", so Regner. Von der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament stimmten neben den Österreichern unter anderen auch Franzosen, Briten, Belgier und einige Italiener gegen die Resolution.
Auf Seite der Befürworter herrschte Zufriedenheit. "Uns ist es gelungen, das Verhandlungsmandat für TTIP weiter zu verschärfen. Damit sind die Sorgen und Ängste der Bürger in die laufenden Verhandlungen eingebracht", erklärte der Europaabgeordnete Othmar Karas nach der Abstimmung. "Wir wollen ein faires Freihandelsabkommen und den Schutz von europäischen Investitionen in den USA. Investitionsschutz ist normal. Wir müssen aber Missbrauchsmöglichkeiten ausschließen und unsere Bedingungen durchsetzen", so der EU-Abgeordnete. "Die TTIP-Verhandlungen bieten jetzt die Chance, das seit Jahrzehnten verwendete System der Schiedsgerichte zu reformieren und damit zu modernisieren", hieß es von Angelika Mlinar von den Neos.
Karas betont, dass auch eine Privatisierung der Wasserversorgung durch TTIP "völlig ausgeschlossen" sei. Der heute beschlossene Text stellt klar, "dass nationale und zuständige lokale Behörden auch weiterhin (...) das uneingeschränkte Recht haben, Maßnahmen im Zusammenhang mit der Inauftraggabe, Organisation, Finanzierung und Erbringung öffentlicher Dienstleistungen einzuführen, zu erlassen, beizubehalten oder aufzuheben", so der Abgeordnete.
Auch für Regner gibt es einige gute Punkte in der Resolution: "Zum Beispiel, dass die Kommission als Grundbedingung in die Verhandlungen aufnehmen soll, dass die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auch von den USA nicht nur einzuhalten, sondern auch zu ratifizieren sind." Kritiker des Abkommens haben in der Vergangenheit immer wieder davor gewarnt, dass Arbeitnehmerrechte durch TTIP unterwandert werden könnten, da die USA den internationalen Arbeitsabkommen bisher wenig Beachtung geschenkt haben.
Kritik an "Abstimmungstrick"
Wenig erfreut über die Abstimmung ist man auch bei den Grünen. Ska Keller, stellvertretende Vorsitzende und handelspolitische Sprecherin der EU-Grünen, erklärte: "Das ,neue‘ System, das vorgeschlagen wird, sieht ebenfalls eine einseitige Paralleljustiz nur für Investoren vor. Es bleibt somit ISDS, auch wenn es Martin Schulz im neuen Gewand präsentiert. Das ist mehr Satire als Politik." Der österreichische EU-Abgeordnete von den Grünen, Michel Reimon kritisiert: "Investitionsschutz ist weiter Teil des Abkommens, das ist bedauerlich. Dass Martin Schulz mit einem Geschäftsordnungstrick verhindert hat, dass über ein klarer Nein zum Investitionsschutz überhaupt abgestimmt werden konnte, reiht sich ein in das Bild eines parteiischen Präsidenten."
Auch die FPÖ kritisiert die Vorgehensweise. "Dass die Abstimmung unter dem Vorwand einer übermäßigen Zahl von Änderungsanträgen kurzfristig vom ursprünglichen Termin im Juni auf den heutigen Tag verlegt wurde, ist eine Farce", so der Europaabgeordnete. "Denn die Zahl der Änderungsanträge, die nun zur Abstimmung standen, reduzierte sich gerade einmal um drei von 119 auf 116."
Für Regner heißt es nun abwarten, wie die EU-Kommission die Vorgabe vom EU-Parlament interpretiert. "Jetzt kann man sagen, ein anderes System ist inhaltlich ein enormer Fortschritt im Gegensatz zu dem, was die Kommission da ursprünglich vorgelegt hat. Das kann so ausgelegt werden, dass wir uns diese ganzen privaten Schiedsgerichtsysteme mehr oder weniger ersparen. Ich wünsche mir, dass die Kommission das so aushandelt", sagte Regner. Die Kommission habe jedenfalls mitbekommen, dass sie ein gewaltiges Problem mit dem habe, was sie bisher zu den Schiedsgerichten vorgeschlagen hat.
Auswirkung auf Kanada
Mit der Resolution verbunden sei nun aber auch ein ganz anderes Problem für EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, erklärt Regner. Nämlich bei Ceta, dem fix und fertig ausgehandelten Freihandelsabkommen mit Kanada. Das beinhaltet nämlich explizit die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit. "Das, was heute bei der Abstimmung herausgekommen ist, lege ich so aus, dass damit die Bestimmungen, die in Ceta zu den Schiedsgerichten drinnen sind, überarbeitet werden müssen. Es steht nun einmal drinnen: Ein anderes System als ISDS soll gewählt werden." Das hieße, dass die EU-Kommission Ceta wieder aufmachen müsste, da das EU-Parlament sonst nicht zustimmen würde.
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