Tuberkulose und Tumore - beide sind tödlich. Wenn sie nicht behandelt werden. Wie sich Tumore mit Tuberkelbazillen vernichten lassen, haben kürzlich Ärzte der Medizinischen Universität Lübeck (MUL) und des Forschungszentrums Borstel (FZB) gezeigt. Mit einer neuen Immuntherapie rückten sie bösartigen Geschwüren in der Harnblase erfolgreich zu Leibe.
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In der westlichen Welt ist Blasenkrebs die fünfthäufigste Tumorart. Jedes Jahr erkranken rund 20.000 Menschen an dem Leiden. Zwei Drittel davon sind Männer, viele zwischen 60 und 80 Jahre. Doch die Wucherungen bleiben oft über Jahre unerkannt. Bemerkt werden sie meist erst, wenn der Unterbauch unablässig schmerzt, die Blase dauernd drückt oder gar der Urin schon blutig verfärbt ist.
Für das Entstehen werden vor allem Umwelteinflüsse verantwortlich gemacht. Farben, Lösungsmittel und Teer, vor allem aber Tabakrauch enthalten krebsauslösende Stoffe (Kanzerogene). Sie gelangen über Haut und Lunge ins Blut und über die Nieren in die Harnblase. Auch Nitrat im Trinkwasser ist eine Gefahrenquelle. Ein Teil davon wird im Körper zum giftigen Nitrit umgewandelt. Daraus können sich die gefürchteten Nitrosamin-Verbindungen bilden, die extrem krebsauslösend sind. Nitrat gelangt hauptsächlich durch Dünger ins Trinkwasser.
Ebenfalls in Verdacht geraten sind Haarfarben. Ob blond, ob braun, wer wenigstens einmal im Monat zum Färbemittel greift, erkrankt vergleichsweise häufiger an einem Blasenkarzinom. Zumindest fanden Wissenschaftler der Universität von Südkalifornien einen auffälligen Zusammenhang zwischen erkrankten Frauen und der Häufigkeit des Färbens. Auch für Friseure, die mehr als zehn Jahre mit solchen Chemikalien hantieren, besteht ein erhöhtes Risiko.
In der Blase lagern die Giftstoffe eine Weile, bevor sie mit dem Urin ausgeschieden werden. Durch den Dauerkontakt mit der empfindlichen Schleimhaut im Inneren der Blase entstehen die ersten Geschwulste. Hinzu kommt dann ein Versagen des Immunsystems, das sonst auch kranke oder entartete Zellen beseitigt. Im Extremfall besteht ein Krebsgeschwür bis zur Hälfte aus Abwehrzellen, die allerdings nicht aktiv sind. Der Grund für das Stillhalten ist bis heute nicht geklärt.
Immunsystem aktiviert
"Etwa achtzig Prozent aller Blasentumore sind auf die innere Schleimhaut begrenzt", sagt Andreas Böhle, Oberarzt an der urologischen Universitätsklinik Lübeck. Die Geschwüre verteilen sich unregelmäßig über die Blasenwand. Sie werden operativ entfernt. Dazu wird eine Elektroschlinge durch die Harnröhre bis in die Blase vorgeschoben. Dann wird das meist zottelige Tumorgewebe Schicht für Schicht abgetragen. Oft steht nach sechs Wochen eine Wiederholung des Eingriffs an, um letzte Krebsnester auszuräumen.
Dennoch kommt es in bis zu 80 Prozent der Fälle zu einem Rückfall (Rezidiv), weil winzige Tumorteilchen der Prozedur entgehen. Daher werden den Betroffenen bislang über einen Katheter so genannte Zellgifte (Zytostatika), in die Blase geleitet. Neuere Studien belegen allerdings, dass die Methode die Rückfallhäufigkeit nur um zehn Prozent senkt.
Größeren Erfolg haben die Forscher der MUL und des FZB mit einer neuen Nachbehandlung. Nach der Operation bringen sie einen aktiven Impfstoff aus lebenden Erregern der Tuberkulose in die Blase. Das Gewebe entzündet sich und alarmiert die körpereigene Abwehr. "Das Immunsystem wird dadurch in die Lage versetzt, den Tumor erfolgreich zu bekämpfen", beschreibt Sven Brandau, Wissenschaftler am FZB, die Wirkung. Um die Entzündung zu bremsen, wandern massenhaft Abwehrzellen in die Blase und greifen Bakterien und Krebszellen zugleich an. Die Einleitung wird sechsmal im wöchentlichen Abstand wiederholt. Die norddeutschen Ärzte konnten damit bis zu 80 Prozent der Patienten vor einem Rückfall bewahren.
Vorreiterrolle
Inzwischen spielen "bei der Erforschung der immuntherapeutischen Behandlung von Blasenkrebs Borstel und Lübeck weltweit die Vorreiterrolle", freut sich Andreas Böhle, der in Borstel auch das Labor für Immuntherapie leitet. Wermutstropfen der Methode: Nach der Injektion schmerzt die Blase für einen Tag wie bei einer heftigen Blasenentzündung. Doch deswegen wurde bisher von keinem Patienten die Behandlung abgebrochen. Denn immerhin, so Sven Brandau vom Labor für Immuntherapie, "ist es die zurzeit erfolgreichste Immuntherapie, die es bei soliden Tumoren gibt."