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Turbo-Egos brauchen Beisitzer

Von Sabine Ertl

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Auch für Manuel Andrack gibt es ein Leben nach Harald Schmidt. Andrack, den nicht zuletzt wegen seines Durchschnittsgesichts die Aura von "Wer ist denn das?" umgibt, mimte in Schmidts Late-Night-Show dessen getreuen Vasallen. Wir erinnern uns: Andrack saß dem Meister stets ruhig und gesittet zur Linken und trank genüsslich ein Bier. Diese TV-Partnerschaften mögen befremdlich wirken, doch gibt es sie häufiger als man glaubt. So gesehen am Dienstagabend in Elke Heidenreichs Büchertalk "Lesen!" im ZDF.

Turboleserin Heidenreich hatte sich Herrn Andrack eingeladen und war gar nicht zimperlich im Umgang mit ihrem Gast, der kaum zu Wort kam und sofort in die gleiche untertänige Rolle wie bei Schmidt verfiel. Wie gewöhnlich ereiferte sich Heidenreich in der gestrengen Hinführung von Mensch zur Literatur und ließ ihren Besucher gleich wissen, dass es keine gute Idee gewesen wäre, wenn er "Buddenbrooks" mitgenommen hätte. ("Da hätten wir Reich-Ranicki aber eine Freude gemacht.") Auch sparte sie nicht mit Anspielungen von wegen "nach all den Jahren mit Harald Schmidt ist das kein Wunder". Als Andrack sie anflehte, nicht zu viel über Bücher zu verraten, weil er es prinzipiell nicht gut fände, dass heutzutage so viel in den Klappentexten steht, entzauberte sie schadenfroh Miguel Delibes neuen Roman. ("Er setzt seinem Leben ein Ende, damit auch sie es wissen!")

Nun wissen wir alle Bescheid und wundern uns über diesen verräterischen Erzählfluss. Alles in allem bleibt aber "Lesen!" der beste Literaturtalk im deutschsprachigen Raum, der an Dichte und Intensität seinesgleichen sucht.