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Turbulentes halbes Jahr für die EU

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Ihre Bilanz der Regierungsarbeit fällt negativ aus: Aus Protest gegen Einkommenskürzungen haben Mitarbeiter der U-Bahn in Madrid einen dreitägigen Streik begonnen. Nur die Hälfte der Züge fährt. Von den Zugausfällen und Verspätungen sind an die zwei Millionen Pendler betroffen. Foto: ap/White

Von Griechenland und Eurokrise überschattet. | EU-Ratspräsident Van Rompuy festigt Machtposition. | Brüssel. Turbulent wie noch selten waren die letzten sechs Monate in der EU unter spanischem Vorsitz, der morgen, Mittwoch, endet. In Erinnerung bleibt vor allem das verzweifelte Stakkato an Krisengipfeln für die Rettung Griechenlands und die Stabilisierung des Euro, der die größte Bewährungsprobe seiner Existenz bestehen musste. Spanien war im Chefsessel der Union immer wieder als möglicher Pleitekandidat in den Schlagzeilen und zunehmend in die Defensive geraten.


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Diese Entwicklungen waren zu Jahresbeginn freilich noch nicht offensichtlich. Nur kurz vor dem Antritt von Premierminister Jose Luis Zapatero, Außenminister Miguel Angel Moratinos und ihrem Team im Jänner war der Lissabonner Vertrag und damit eine neue Rechtsgrundlage für die Union in Kraft getreten. Die neue EU-Kommission unter Präsident Jose Manuel Barroso gab es noch nicht.

Nur der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und die EU-Außenministerin Catherine Ashton waren bereits im Amt. Sie bekleideten zwei Jobs, die erst durch den Lissabonner Vertrag geschaffen und dort nur recht vage umrissen waren. Trotz oder sogar gerade wegen der neuen Rechtsgrundlage steuerte die EU nach jahrelangem Ringen um den Vertrag erneut auf eine Phase zu, in dem sie sich wohl vor allem mit sich selbst beschäftigen würde müssen - das neue institutionelle Gefüge musste erst einmal lernen, ineinander zu greifen. Die bisher wichtigsten Repräsentanten des Vorsitzlandes - Zapatero und Moratinos - standen formell plötzlich in der zweiten Reihe hinter den neuen EU-Spitzen Van Rompuy und Ashton. Das EU-Parlament sah sich durch den Lissabonner Vertrag mit neuer Machtfülle ausgestattet.

Mit stiller Diplomatie zum Erfolg

Doch kaum war die Kommission angelobt, brach das Griechenland-Desaster bereits im Februar mit voller Wucht über die Union und ihren Vorsitz herein. Schon beim ersten Krisengipfel spielte Van Rompuy die Führungsrolle im Kampf gegen die Krise. Ohne viel Aufsehen übernahm der Belgier den Vorsitz der Eurogruppenländer auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Noch etwas unsicher wirkte er, als er die ersten Ergebnisse für "ein entschlossenes und gemeinsames Handeln" der Eurozonenländer zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung verlas. Doch Barroso dürfte bereits gedämmert sein, dass der Belgier nicht zu unterschätzen ist: Auf G20-Ebene vertrete er, der Kommissionspräsident, die Union und nicht Van Rompuy, ließ er in Pressekonferenzen und Zeitungsinterviews wissen. Doch der EU-Ratspräsident - erfahren von seiner Zeit in der von politischen Fallstricken durchsetzten belgischen Innenpolitik - setzte auf stille Diplomatie im Hintergrund und war schon im März gleichberechtigter Vertreter der EU bei den Treffen der Spitzenpolitiker der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.

Inzwischen hatte das EU-Parlament längst seine neue Macht gebraucht und das Swift-Abkommen zum Austausch von Bankverbindungsdaten zur Terrorismusbekämpfung mit den USA wegen Datenschutzbedenken gekippt.

In der Zwischenzeit ging der Euro auf eine beispiellose Talfahrt. Barroso war de facto abgetaucht. Sowohl bei der Ausarbeitung des 110 Milliarden Euro schweren Nothilfepakets für das bankrotte Griechenland als auch beim 750 Milliarden Euro-Rettungsschirm für die Gemeinschaftswährung im Mai stand stets Van Rompuy neben der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy im Vordergrund.

Zapatero hatte indes wenigstens auf großen internationalen Treffen die Hauptrolle spielen wollen. Doch nach der Absage des EU-USA-Gipfels durch US-Präsident Barack Obama war auch dieser Plan rasch obsolet. Zuletzt musste der Spanier als Premier des EU-Vorsitzlandes unter massivem Druck der Eurogruppenpartner ein bis dahin beispielloses Sparpaket durch sein Parlament drücken.

In einem letzten Kraftakt konnten die Spanier immerhin noch ein neues Swift-Abkommen auf den Weg bringen und eine Grundsatzeinigung über einen neuen Europäischen Auswärtigen Dienst erzielen. Wenn die Belgier am Donnerstag das Steuerrad der Union übernehmen, finden sie eine völlig andere Union vor, als sie noch vor sechs Monaten ausgesehen hat.