Zum Hauptinhalt springen

Turbulenzen um Polens Parlament

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Pläne der Regierung zu Beschränkungen für Journalisten im Abgeordnetenhaus sollen überarbeitet werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Warschau/Brüssel. Ein Sitzstreik im Parlament, Demonstrationen davor und dazwischen heftige Wortgefechte zwischen Politikern: Die Zwistigkeiten rund um die Vorgänge im Sejm, im polnischen Abgeordnetenhaus, sind auch nach vier Tagen noch nicht abgeklungen. Mehrere Oppositionspolitiker setzten ihren am Freitag begonnenen Streik in der Volksvertretung fort, und vor dem Gebäude solidarisierten sich Bürger mit ihnen. Am heutigen Dienstag sollen Journalisten erfahren, in welcher Form sie wieder Zutritt zum Sejm erhalten, und bis 6. Jänner des kommenden Jahres sollen für sie neue Regeln ausgearbeitet werden. Das verkündete Stanislaw Karczewski, der Vorsitzende des Senats, der zweiten Parlamentskammer. Gleichzeitig betonte er, dass gewisse "Änderungen" notwendig seien.

Die möglichen Einschränkungen für Medienvertreter waren denn auch am Freitag der Auslöser für die turbulenten Szenen im und vor dem Parlament gewesen. Die Bewegungsfreiheit der Journalisten im Abgeordnetenhaus sollte nämlich nach den ursprünglichen ab 1. Jänner ihre engen Grenzen haben. Auf der Besuchergalerie sollte nicht mehr gefilmt werden dürfen; Pressekonferenzen und Interviews sollten nur noch in einem Nebentrakt stattfinden. Auch die Zahl der Zulassungen für Journalisten, die sich im Hauptgebäude bewegen dürfen, sollte reduziert werden. 

Eklat im Plenarsaal 

Als am Freitag ein Mandatar der oppositionellen Bürgerplattform (PO) in der Plenarsitzung mit einem Schild auf dem Rednerpult gegen die Maßnahmen protestierte, entzog ihm Parlamentspräsident Marek Kuchcinski das Rederecht und schloss ihn von der Sitzung aus. Kurz darauf formierten sich mehrere Abgeordnete rund um das Rednerpult, forderten die Rückkehr ihres Kollegen, skandierten "Freie Medien" und "Demokratie", stimmten schließlich die polnische Nationalhymne an. Die Sitzung wurde in einen anderen Saal verlegt, wo vor allem mit den Stimmen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr angenommen wurde. Die Gültigkeit des Votums wird von Teilen der Opposition in Frage gestellt.

Vor dem Parlamentsgebäude versammelten sich hunderte Menschen, um gegen die PiS-Regierung zu demonstrieren. Und die Proteste setzten sich über das Wochenende hinaus fort. Diegestern, Montag, verkündete Verzögerung bei der Neuregelung für Journalisten konnte dennoch nicht alle Wogen der Empörung glätten. Seit der Machtübernahme im Herbst des Vorjahres sorgt PiS unter der Führung von Jaroslaw Kaczynski für Kontroversen – ob mit Änderungen im Verfassungsgerichtshof,  Postenbesetzungen in staatsnahen Unternehmen und öffentlichen Medien, geplanten Reformen in der Steuer- oder Sozialpolitik. Umgekehrt wird so manche Errungenschaft der vorangegangenen Regierung rückgängig gemacht: Erst gestern, Montag, unterschrieb Staatspräsident Andrzej Duda, der selbst aus den PiS-Reihen kommt, ein Gesetz zur Pensionsregelung. Damit wird die – wie in etlichen anderen europäischen Staaten notwendige – Anhebung des Pensionsantrittsalters wieder zurückgenommen. Kritiker werfen dem Kabinett von Premierministerin Beata Szydlo und vor allem dem Parteivorsitzenden Kaczynski vor, den Staat nach eigenen Vorstellungen umbauen zu wollen und dabei die wirtschaftliche Entwicklung Polens zu gefährden.

Allerdings sind die Proteste vor allem der Zivilgesellschaft nicht immer ohne Erfolg geblieben. So hat PiS einen Entwurf zur Verschärfung der Abtreibungsgesetze zurückgezogen, nachdem zehntausende Frauen auf der Straße gegen drakonische Maßnahmen demonstriert hatten. Geplante Änderungen des Versammlungsrechts wurden ebenfalls abgeschwächt.

Ungelöst bleibt jedoch der Konflikt rund um den Verfassungsgerichtshof, der seit einem Jahr schwelt. Es geht um umstrittene Neubesetzungen von Richterposten sowie Regelungen, die die Arbeit des Gerichts zu lähmen drohen. Die Zwistigkeiten gehen so weit, dass sich die Regierung schlicht weigert, manche Urteile des Organs zu veröffentlichen. Außerdem würde sie gern an der Spitze der Behörde eine PiS-nahe Person installieren. Die Amtszeit von Gerichtspräsident Andrzej Rzeplinski, der in seiner Verteidigung der Richter-Unabhängigkeit der Regierung Paroli geboten hatte, lief am Montag aus.

EU-Kommission berät 

Die Vorgänge lösten auch außerhalb Polens Unmut aus. Die EU-Kommission eröffnete ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in dem Mitgliedstaat. In einem letzten Schritt könnte es Sanktionen für das Land geben, bis hin zum Stimmentzug bei EU-Ministersitzungen. Dass die Brüsseler Behörde zu dieser Maßnahme, die die anderen Staaten billigen müssten, greift, scheint aber – noch –  unwahrscheinlich. Jedoch wollen die Kommissare bei ihrer Zusammenkunft am morgigen Mittwoch über die Lage in Polen und eine Reaktion darauf beraten.

Wie auch immer die ausfallen wird – die Emotionen in der innenpolitischen Debatte in Polen wird sie kaum kühlen können. Während Oppositionspolitiker von einer Gefährdung der Demokratie sprechen, werfen Regierungsmitglieder ihren Gegnern vor, die Macht an sich reißen zu wollen. Präsident Duda, der seine Vermittlung angeboten hatte, wird auch nicht unbedingt als neutral angesehen. Am Sonntag traf er die Vorsitzenden der Oppositionsparteien. Doch die Sitzung mit PiS-Chef Kaczynski am Montag dauerte besonders lang.