Entwurf der Kommission liegt der "WZ" exklusiv vor. | Türkische Armee ist der EU immer noch zu mächtig. | Meinungsfreiheit bleibt Problemfall. | Brüssel. Die Türkei hat das vergangene Jahr nicht für die EU-Reformen genutzt. Die weiterhin eingeschränkte Meinungsfreiheit, anhaltende Einmischung der Armee in die Politik, Benachteiligung religiöser Minderheiten und die Einzementierung der Probleme mit dem EU-Land Zypern bleiben die Hauptprobleme. Immerhin hat das Land eine Verfassungskrise überwunden und ist trotz Einmischung des Generalstabs auf Demokratie-Kurs geblieben. Die neue Regierung begann mit der Arbeit an einer umfassenden Verfassungsreform.
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Das sind im Kern die Aussagen des heurigen Türkei-Fortschrittsberichts der EU-Kommission, der kommenden Dienstag vorgelegt werden soll und dessen Entwurf der "Wiener Zeitung" bereits vorliegt. "Die Umsetzung von Reformen hat sich seit 2005 verlangsamt", schreiben die Beamten von Erweiterungskommissar Olli Rehn. Ankara müsse jetzt neuen Schwung nehmen.
"Ernste Sorge"
Denn weiterhin gebe es "Gerichtsverfahren und Drohungen" gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Wissenschaftler. "Ernste Sorge" bereite, dass sich die Anzahl der Personen, die wegen gewaltfreier Meinungsäußerung strafrechtlich verfolgt würden, 2006 gegenüber 2005 verdoppelt habe. Besonders ausgiebig angewendet wurde der berüchtigte Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Er droht für die Beleidigung des Türkentums mit Gefängnisstrafen. Fünf weitere Paragraphen werden von Brüssel ebenfalls als Hebel für die Einschränkung der Meinungsfreiheit identifiziert - etwa 288, der die "Beeinflussung eines fairen Gerichtsverfahrens" verbietet. Journalisten und Rechtsanwälte machten nach Äußerungen zu Prozessen damit Bekanntschaft. Der Anstieg der Fälle im letzten Jahr stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit den Wahlkämpfen, hieß es: Nationalistische Staatsanwälte hätten so politisches Kapital schlagen wollen.
"Keine Fortschritte" habe Ankara auch bei der zivilen Kontrolle über die Streitkräfte erzielt, heißt es in dem Entwurf. Hochrangige Offiziere nähmen vermehrt zu innen- und außenpolitischen Fragen wie Zypern, Kurden-Angelegenheiten, Säkularismus und zuletzt auch zur Reformagenda Stellung. Die Generäle sehen sich als eiserne Verteidiger der Trennung von Staat und Religion gemäß den Vorgaben von Staatsgründer Kemal Atatürk. Dabei haben sie weit reichende Rechte, wie "militärische Operationen für die innere Sicherheit unter gewissen Umständen ohne Auftrag der zivilen Behörden durchzuführen."
Die drohende Invasion der türkischen Streitkräfte in den Nordirak zur Verfolgung von Kämpfern der PKK (siehe nebenstehenden Artikel) wird dagegen im Entwurf kaum erläutert. Das Problem wirke sich derzeit noch nicht direkt auf die Beitrittverhandlungen aus, erläutert ein Experte. Dazu bräuchte es schon einen massiven Einmarsch mit anschließender längerfristiger Besetzung irakischen Territoriums.
Lob für die AKP
Hoch angerechnet wird der Türkei, dass sich bei der Krise im Frühjahr "die Vorrangstellung des demokratischen Prozesses" gegen die öffentliche Einmischung der Armee durchgesetzt habe. Der Generalstab hatte vergeblich versucht, die Wahl von Ex-Außenminister Abdullah Gül von der islamisch orientierten AKP zum Präsidenten zu blockieren. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli triumphierte die AKP.
Nun liege es an Ankara, die nötigen Voraussetzungen für die Eröffnung von nicht weniger als 13 Verhandlungskapiteln zu schaffen, meint die Kommission. Bei acht bis zehn sei das relativ einfach, hieß es - lediglich Aktionspläne würden verlangt.
Wegen des völlig festgefahrenen Streits mit Zypern, das von Ankara nicht völkerrechtlich anerkannt wird, bleiben hingegen 8 zentrale der 35 Verhandlungskapitel gesperrt. Lediglich zwei könnten bis Ende Dezember noch geöffnet werden, kündigte Rehn an. Bisher wurden seit Beginn der Beitrittsverhandlungen Anfang Oktober 2005 vier eröffnet und eines vorläufig abgeschlossen.