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Türkei: Die AKP geht in Kurdengebieten auf Stimmenfang

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Kommunalwahlen Ende März werfen ihren Schatten voraus. | Istanbul. Einträchtig parken die Wahlkampf-Minibusse nebeneinander. Auf dem einen prangt eine riesige leuchtende Glühbirne, die sich die türkische Regierungspartei AKP zum Symbol auserkoren hat. Auf dem anderen Gefährt sind vor rotem Hintergrund die weißen, in die Höhe ragenden Pfeile zu sehen, die für die größte Oppositionspartei, die CHP, stehen.


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Im Istanbuler Stadtviertel Besiktas sind gerade zwei Wahlkampfveranstaltungen zu Ende gegangen. Rechts von der Fähranlegestelle am Bosporus warb die AKP für sich, links die CHP - was beinahe der nominellen politischen Ausrichtung entspricht. Kleine Fahnen mit den jeweiligen Parteilogos, auf Seilen quer über die Plätze gespannt, zeugen noch von den Kampagnen.

Es ist aber ein bissiger Kampf, den sich die Politiker vor den Kommunalwahlen am 29. März liefern. 19 Parteien bewerben sich in den 81 Provinzen der Türkei um rund 200.000 Bürgermeister- und andere Gemeindeposten. Lokale Themen gäbe es genug zu diskutieren: von einstürzenden Häusern in den Elendsvierteln von Istanbul, über die Luftverschmutzung in Ankara bis hin zur Verarmung im Südosten des Landes. Doch stattdessen dominieren verbale Attacken den Wahlkampf.

So geißelte die CHP die Verteilung von Holzkohle an arme Familien als "illegalen Stimmenfang" der AKP. Ähnlich bezeichnete sie eine Aktion in einer ostanatolischen Provinz, wo Haushaltsgeräte wie Kühlschränke im Beisein von Kameraleuten und Fotografen in die Häuser Bedürftiger geschleppt wurden. Die AKP wiederum empörte sich darüber, dass der Vorsitzende der pro-kurdischen Partei DTP bei einer Fraktionssitzung im Parlament Teile seiner Rede in seiner Muttersprache hielt: Ahmet Türk sprach Kurdisch. Andere Parteien stimmten mit ein in die Kritik. Laut Verfassung sei die Verwendung einer anderen Sprache als Türkisch im Parlament verboten. Hintergrund ist das Ringen um die Stimmen der Millionen Kurden, die seit Jahren ihre Minderheitenrechte einfordern. So hat sich die AKP nach einigen Schritten - wie der Zulassung eines ganztägigen kurdischen Programms im staatlichen Fernsehsender TRT - zum Ziel gesetzt, von der DTP dominierte Gebiete zu erobern. Immerhin hat die Partei von Premierminister Recep Tayyip Erdogan bei der Parlamentswahl im Juli 2007 in den kurdischen Gebieten vor allem im Osten des Landes rund 40 Prozent der Stimmen erhalten. Fast der gesamte Rest entfiel auf die DTP. Landesweit hat damals fast jeder zweite Türke für die AKP gestimmt.

Nicht zuletzt in der Kurdenfrage zeigt sich, dass die Kommunalwahlen mehr als lokale Bedeutung haben und ein Zeugnis für die Regierungspolitik ausstellen könnten. "Ob die DTP oder die AKP gewinnt, wird darüber entscheiden, wer die Kurdenpolitik in der Region bestimmt", sagt der Politologe Ekrem Eddy Güzeldere vom Think-tank European Stability Initiative.

Zwei Jahre Stillstand

Das Votum könnte auch noch andere Folgen haben: für die EU-Politik des Landes. Hat die AKP nach ihrer Machtübernahme im Jahr 2002 auch etliche von der Europäischen Union geforderte Reformen zur Demokratisierung des Landes eingeleitet, ist seit fast zwei Jahren von weiteren Fortschritten so gut wie nichts zu spüren. Zu sehr war die Regierungspartei mit innenpolitischen Problemen beschäftigt. Nach der Wahl wäre die Zeit jedoch günstig, den EU-Kurs neu zu festigen, meint Güzeldere. "Bekommt die AKP ein starkes Mandat, könnte sie sich ermuntert fühlen, die Reformen wieder anzukurbeln. Erhält sie aber beispielsweise 35 Prozent der Stimmen, wird es schwierig."

Schon hat Premier Erdogan angekündigt, die Arbeiten an einer neuen Verfassung im April wieder aufzunehmen. Die jetzige - auch von der EU kritisierte - Verfassung ist nach einem Militärcoup 1980 entstanden. Einen Entwurf für das neue Dokument gibt es seit 2007. Denn schon vor der letzten Parlamentswahl war die Schaffung einer demokratischen Verfassung eines der zentralen Versprechen der AKP.