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In kaum einem Bereich scheiden sich die Geister so wie in der Frage eines möglichen Beitritts der Türkei zur EU. Die unterschiedlichen Auffassungen machen weder vor Landes- noch Parteigrenzen halt. Auch Experten sind sich alles andere als einig.
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Bestes Beispiel dafür ist ein Studien-Entwurf der EU-Kommission, die voraussichtlich die Aufnahme von Beitrittsgesprächen empfehlen wird und die Ansicht des österreichischen Instituts für Europäische Sicherheitspolitik (ÖIES). Hier eine Gegenüberstellung der grundsätzlich verschiedenen Sichtweisen:
Ein Beitritt der Türkei zur EU brächte laut Brüsseler Entwurf beiden Seiten große Chancen. Einschränkung: "Wenn er richtig angegangen wird." Und: "Die Türkei durchläuft derzeit einen Prozess radikaler Veränderungen, einschließlich einer schnellen Veränderung der Mentalitäten", sind die Experten aus Brüssel optimistisch. Nicht so das ÖIES: Manfred Scheich, einst Chefverhandler bei Österreichs EU-Beitritt, sieht die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Falle eines türkischen Beitritts eingeschränkt. Denn erstens würde die Schwelle der für einen Staatenbund verkraftbaren "inneren Heterogenität" überschritten. Zweites würde die EU territorial überdehnt werden. Drittens könnte es passieren, dass der politische Apparat nicht mehr funktionieren würde.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Türkei-Beitritts wären positiv, wenngleich eher gering, sagt die Studie aus Brüssel. Die Eröffnung von Verhandlungen mit dem Land am Bosporus würde die türkische Wirtschaft ankurbeln und stärker wachsen lassen als den EU-Durchschnitt. Was sich positiv für die anderen EU-Länder auswirken würde. Die Netto-Kosten eines Beitritts lägen nach Ansicht der Brüsseler Experten zunächst zwischen 16 und knapp 28 Milliarden Euro. Erich Hochleitner vom ÖIES geht zwar in etwa von den gleichen Zahlen aus, beurteilt den Effekt dieser Geldflüsse aber gänzlich anders. 20 Prozent des EU-Budgets würden nach Ankara fließen und das mindestens 60 Jahre lang. Was eine Belastung für den europäischen Steuerzahler darstelle. Auch wäre eine "totale Umverteilung" der Mittel dann unausweichlich: Die Gelder müssten aus den eben erst beigetretenen zehn Erweiterungsländern abgezogen werden, was die Kohäsionspolitik der EU-25 gefährden würde. Auch sieht der Ex-Botschafter in Belgien den in der Lissabon-Strategie vorgezeichneten Weg zur stärksten Wirtschaftsmacht zusätzlich gefährdet. "Notwendige Mittel für Forschung und Entwicklung würden wegfallen."