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Türkei-Gespräche: Ein Teil soll ruhen

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Keine Kapitel mehr abschließen, aber neue öffnen. | Rehn: Kein Einfrieren der Gespräche. | Brüssel. Die Überraschung war perfekt. Nur zwei Tage, nachdem klar geworden war, dass Ankara die Zollunion dieses Jahr nicht mehr umsetzen wird, empfahl die EU-Kommission gestern, Mittwoch, die Suspendierung eines Teils der Beitrittsgespräche.


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So will Erweiterungskommissar Olli Rehn jene acht der 35 Verhandlungskapitel, die nach Meinung der Kommission mit der türkischen Blockade der Zollunion mit Zypern zusammenhängen, aussetzen. Freier Warenverkehr, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, Finanzdienstleistungen, Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Zollunion und Außenbeziehungen sollen tabu bleiben, bis die Türkei ihre Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Jets öffnet. Darüber hinaus soll bis dahin auch kein anderes Verhandlungskapitel mehr abgeschlossen werden.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bezeichnete den Vorschlag in einer ersten Reaktion als "inakzeptabel". Ankara will seine Häfen nur für Zypern öffnen, wenn im Gegenzug das EU-Handelsembargo gegen den türkisch kontrollierten Nordteil der Insel gelockert werde. Der finnische Premier und derzeitige EU-Vorsitzende Matti Vanhanen hatte am Montag erklärt, seine Vermittlungsversuche in der Zypern-Frage seien gescheitert. Vanhanen, der Rehn Vorschlag als "gute Grundlage für weitere Beratungen" sieht, will nun die Lage morgen, Freitag, in Ankara noch einmal besprechen.

Das "Versäumnis, rechtliche Verpflichtungen einzuhalten, kann nicht ohne Folgen bleiben", sagte Rehn. Dennoch "braucht die EU die Türkei" und umgekehrt, das sei "heute gültiger denn je." Daher bedeute der Vorschlag der Kommission "kein Einfrieren und keinen Winterschlaf" für die Beitrittsverhandlungen.

Prodi und Blair

unterstützen Türkei

Vielmehr fordere er die Mitgliedsstaaten auf, die technischen Vorbereitungen für alle 35 Verhandlungskapitel zu vollenden und nicht von den Sanktionen betroffene Kapitel zu eröffnen. "Bildung und Kultur", "Unternehmen und Industrie", "Wirtschaft und Währung" sowie "Finanzkontrolle" könnten eigentlich umgehend eröffnet werden. Und schon seit September gehe nichts mehr weiter, räumte Rehn ein. Er wittere nach dem Abschluss des bisher einzigen Kapitels "Wissenschaft und Forschung" einen "De-Facto-Streik" der Mitgliedsstaaten.

Der Eindruck entstehe dadurch, dass Zypern bereits seit geraumer Zeit alle Entscheidungen blockiere, heißt es in Diplomatenkreisen. Und mit Rehns Vorschlag ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Er habe sein Pläne extra eine Woche früher präsentiert, damit die Mitgliedsstaaten bis zum Außenministertreffen am 11. Dezember genug Zeit hätten, sich auf eine Linie zu einigen, sagte er. Denn dort liegen die Standpunkte trotz Kommissionsvorschlag unvermindert weit auseinander. So habe Großbritannien für die Aussetzung von nur drei Kapiteln plädiert, Frankreich dagegen habe 17 verlangt, Zypern will sowieso am liebsten den Totalabbruch, die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik spricht - wenig konkret - von einer notwendigen "Atempause". Nach der Veröffentlichung der Kommissionsvorschläge äußerte sich der französische Präsident Jacques Chirac wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu positiv. Der italienische Premier Romano Prodi und sein britischer Kollege Tony Blair wollen die Sanktionen hingegen abschwächen.