)
In der Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei vermischen sich Interessen und Werte. Der Politologe Heinz Gärtner legt pro und contra aus österreichischer Perspektive dar.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Debatte, die ein möglicher künftiger Beitritt der Türkei zur EU in Österreich ausgelöst hat, ist wahrscheinlich heftiger und wird mit mehr Engagement geführt als diejenige, die damals stattfand, als der österreichische Beitritt bevorstand.
Es gibt viele gute Argumente für eine Mitgliedschaft der Türkei, die in den meisten Fällen eine negative Entsprechung haben. Zumeist findet man These und Antithese in allen Parteien. Dem Argument, das rasante Wachstum der türkischen Wirtschaft würde ein Eldorado für Investoren und Exporteure sein, wird entgegnet, das Land sei arm und seine Wirtschaftskraft klein. Der Angst, dass uns billige Arbeitskräfte überfluten könnten, wird ein möglicherweise drohender Arbeitskräftemangel entgegengehalten.
Sicherheitspolitisch, so wird von den Gegnern argumentiert, würde die Türkei die gesamte unsichere Lage des Mittleren Ostens, der Golfregion und des Kaukasus direkt zu uns importieren; Österreich müsste dann obendrein Truppen zur Verteidigung der Türkei bereit stellen. Befürworter sehen in der Türkei hingegen ein Bollwerk gegen den Terrorismus und einen Stützpunkt für Truppen zur Stabilisierung in diesem Raum.
Die Befürchtungen, die Türkei würde durch ihre Größe und mit 71 Millionen Menschen in den EU-Institutionen ein zu großes Gewicht erlangen und dadurch vor allem die kleinen Staaten wie Österreich schwächen, sollen mit dem Hinweis zerstreut werden, dass dadurch der EU in der Welt insgesamt eine stärkere Rolle zukäme.
Quer zu diesem Gegensatzpaar liegt ein anderes. Die Erweiterung der EU um die Türkei würde ihre Vertiefung beenden. Diese klassische Vertiefung gäbe es ohnehin nicht mehr, Stärke liege in der Erweiterung, so die Antwort.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass hinter einer kompromisslosen mit empirischen Argumenten geführten Diskussion unterschiedliche Werte stehen: In einem fundamental christlichen Klub in der Tradition Karls des Großen kann ein islamisches Mitglied keinen Platz haben. Gegen diesen kaum rational begründbaren Grund spricht, dass gerade ein demokratisches islamisches Land ein leuchtendes Beispiel dafür wäre, dass Islam und Demokratie vereinbar sind.
In der ÖVP gibt es christliche Gegner eines türkischen Beitritts und befürwortende Investoren und Exporteure. Der ÖVP-Obmann will die beiden Flügel mit der Formel "Verhandeln mit offenem Ausgang" versöhnen. In der SPÖ dominiert die Angst vor ausländischen Arbeitskräften, obwohl es da auch die idealistischen Befürworter einer Öffnung gibt. Letztere gibt es in der FPÖ kaum, bei den Grünen sind sie die Mehrheit. In allen Parteien stehen die Befürworter der tieferen Integration der EU den Befürwortern der Integration der islamischen Welt gegenüber.
Es gibt aber noch andere, bisher nicht angesprochene Einstellungen der Türken, die österreichischem Multilateralismus Probleme bereiten werden. 71 Prozent der türkischen Bevölkerung sind der Meinung, dass es gerechtfertigt ist, die Vereinten Nationen zu umgehen, wenn eigene Interessen auf dem Spiel stehen, nur 44 Prozent der Europäer sind dieser Meinung. Dagegen befürworten 76 Prozent der Österreicher ein UN-Mandat bei Auslandseinsätzen des Bundesheeres.
Heinz Gärtner ist Universitätsprofessor am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP)