)
Regierungspartei zeigt Verständnis für Selbstjustiz. | Istanbul. (apa) Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen die türkische Regierungspartei AKP mit europapolitischen Reformen für mehr Demokratie von sich reden machte. Heutzutage sorgt sie vor allem mit rabiaten Sprüchen für Schlagzeilen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Er finde es gut, wenn Staatsfeinde erschossen würden, sagte ein AKP-Abgeordneter im Parlament. Kurz zuvor hatte bereits Premier Recep Tayyip Erdogan persönlich Verständnis für gewaltsame Selbstjustiz gegenüber kurdischen Aktivisten gezeigt. Menschenrechtler und Waffengegner sind bestürzt.
Sie verweisen darauf, dass in der Türkei schon jetzt 3000 Menschen pro Jahr durch Waffen sterben. Insbesondere die türkische Polizei ist auch ohne zusätzliche Ermutigung der Politik berüchtigt dafür, zuerst zu schießen und erst dann zu fragen.
"Ich bin niemand, der Schießereien mag", sagte der AKP-Politiker Abdulkadir Akgül vergangene Woche in der Sitzung eines Parlamentsausschusses in Ankara. "Aber natürlich finde ich es gut, wenn Leute erschossen werden, die gegen meinen Staat und meine Nation sind." Als Volksvertreter, der öffentlich die Tötung von "Staatsfeinden" gutheißt, fand sich Akgül, der sonst eher zur zweiten Garde der AKP gehört, am nächsten Tag auf den Titelseiten der Zeitungen.
Abgeordneter versteht Aufregung nicht
Der Abgeordnete aus dem zentralanatolischen Yozgat sagte, er könne die ganze Aufregung nicht verstehen. Schließlich habe er doch nur "Terroristen" gemeint, ein Wort, das im politischen Sprachgebrauch in Ankara für die kurdische Rebellengruppe PKK reserviert ist. Dass auch "Terroristen" in einem Rechtsstaat nicht einfach so über den Haufen geschossen werden sollten, kam dem Abgeordneten offenbar nicht in den Sinn.
Bei der "Stiftung Hoffnung", der wichtigsten Organisation türkischer Waffengegner, schlägt man angesichts der schießwütigen Regierungspolitiker die Hände über dem Kopf zusammen. Die Haltung hinter den Äußerungen von Erdogan und Akgül sei bedenklich, sagte Stiftungssprecherin Esengül Ayyildiz. Bei 2,5 Millionen angemeldeten und schätzungsweise 7,5 Millionen illegalen Schusswaffen im Land könnten solche Aussagen zu noch mehr Gewalt führen. Schließlich seien die Türken große Waffenfans.
Die Waffenliebe der Türken könnte einen Hinweis auf das eigentliche Motiv für die markigen Sprüche aus Ankara liefern. Viereinhalb Monate vor den Kommunalwahlen im kommenden März ist die AKP nach einigen Korruptionsskandalen und angesichts sich eintrübender Wirtschaftsaussichten in den Meinungsumfragen auf Talfahrt. Die öffentlichen Bekenntnisse zur Problembereinigung per Schusswaffe sollen der Partei möglicherweise Sympathien in rechtsgerichteten Kreisen sichern.
Als Ermunterung für die türkische Polizei waren die Äußerungen jedenfalls kaum gedacht - denn nach Meinung von Menschenrechtlern haben die ohnehin bereits schießwütigen Sicherheitskräfte keinerlei Unterstützung aus der Regierung nötig. Denn selbst wenn es Tote gibt, haben Polizisten kaum etwas zu befürchten.
Im westtürkischen Izmir erschossen Beamte im vergangenen Jahr einen 20-jährigen Studenten, der auf einer abendlichen Spritztour in seinem Wagen eine Polizeikontrolle ignorierte. Obwohl Experten die tödliche Kugel, die im Kopf des Opfers landete, einem der beteiligten Beamten zuordnen konnten, geschah dem Polizisten nichts. Er wurde gleich am ersten Tag seines Prozesses wieder auf freien Fuß gesetzt.
)
)
)