Bilaterales Handelsvolumen könnte bis 2015 auf 30 Milliarden Dollar steigen.
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Ankara/Teheran/Wien. Hassan steht täglich um fünf Uhr auf und macht seine beiden Maulesel, die mit jeweils zwei großen Plastikkanistern für Benzin oder Diesel beladen sind, zum Abmarsch in die Berge bereit. Hunderte andere junge Männer tun es ihm gleich. Die idyllische Ruhe trügt. Mit den Lasttieren werden in der Bergregion zwischen der Türkei und dem Iran jedes Jahr Millionen von Tonnen Treibstoff und Heizöl geschmuggelt.
Der 33-jährige Mann repräsentiert "das Abbild der ärmsten türkischen Straßenvagabunden", wie er sich selbst zynisch nennt. "Sie brauchen nicht glauben, dass es uns Spaß macht, täglich unser Leben aufs Spiel zu setzen, denn niemand weiß in der Früh, ob es eine Heimkehr am Abend gibt." Man könnte von iranischen Grenzsoldaten erschossen werden, in die Hände von irgendwelchen Banden fallen oder sonst irgendetwas. "Doch was sollen wir tun?", bilanziert er. "Wir brauchen das Geld, um unsere Familien ernähren zu können und hier in der Gegend gibt es kaum andere Verdienstmöglichkeiten."
Treibstoff ist bei weitem nicht das einzige Schmuggelgut. Mehr als fünf Tonnen Heroin, die aus Afghanistan über den Iran in die Türkei gelangen sollten, wurden hier an der Grenze in den letzten vier Jahren beschlagnahmt. Doch abgesehen von den türkischen Grenzbewohnern profitiert vor allem der Iran von der gemeinsamen Grenze. Hier rollen täglich mehrere hundert Lastkraftwagen mit Gütern aller Art über die Grenze und helfen dem schiitischen Gottesstaat, die westlichen Sanktionen wegen dem Atomstreit zumindest teilweise zu kompensieren.
"Elektrogeräte, Luxusgüter und Lebensmittel. Die Perser bringen alles rüber und die türkische Regierung drückt ein Auge zu. Sie möchten ja gar nicht wissen, was sonst noch alles die Grenze passiert", schmunzelt er. Obwohl die türkischen Grenzregionen zum Land am Persischen Golf streng bewacht werden, blüht der illegale Handel zwischen den beiden Staaten offensichtlich.
Schmuggel im Wert von vier Milliarden Dollar pro Jahr
Hassans Thesen bestätigen sich, wenn man mehrere Stunden an der Grenze verbringt: Ein Blick auf die drei Grenzübergänge zeigt, dass hunderte Lkw und Privatautos, die jeden Tag von einem Land ins andere fahren, jeglichen Sanktionen den Wind aus den Segeln nehmen. Auf rund vier Milliarden Dollar im Jahr soll sich der illegale Handel laut Experten belaufen. Diese Geldtransfers laufen meist nach demselben Prinzip ab: Der Käufer zahlt die Summe zuzüglich einer Kommission an einen Mittelsmann und schafft das Geld so aus dem Land. "Besonders gern lassen die Perser neuerdings auch türkische Unternehmen als Zwischenhändler für iranische Partnereinkäufe von Maschinen fungieren", ärgert sich Hassan und macht sich auf den Weg.
Möglich machen all diese Machenschaften drei Faktoren: Zum einen hilft die geografische Beschaffenheit: Die gemeinsame Grenze zwischen dem Iran und der Türkei ist 500 Kilometer lang und in einer einsamen Landschaft gelegen und somit nur sehr schwer zu überwachen. Andererseits erleichtert ein bilaterales Abkommen, wonach keine Visumspflicht besteht, die Durchreise. Letztlich trachtet die türkische Regierung danach, sich mit Teheran gutzustellen und sich in der Region als wichtiger Player zu präsentieren.
"Wir entscheiden über Partner, nicht Washington"
Da springt die Regierung in Ankara beispielsweise gerne als Mediator ein: Da der Westen dem Iran die Tore zur Weltwirtschaft mittels Sanktionen, Ausschluss vom internationalen Bankenverkehr und dem Swift-Abkommen sowie durch ein EU-weites Öl- und Gasembargo versperrt, gibt sich die Türkei demonstrativ solidarisch mit Teheran, wenngleich auch die Lage in Syrien, wo Teheran dem Regime von Bashar al-Assad weiterhin treu die Stange hält und Ankara die Rebellen unterstützt diesen Spagat nicht gerade einfach machen: "Wir entscheiden selbst mit wem wir Geschäfte machen und mit wem nicht, die Türkei gestaltet ihre Außenpolitik in der Türkei und nicht in Washington", so die Statements von hochrangigen türkischen Politikern in den letzten Monaten. Nachsatz: Das bilaterale Handelsvolumen soll bis 2015 auf 30 Milliarden Dollar erhöht werden.
Ankara löst Dubai als Drehscheibe Teherans ab
Die Dämmerung ist inzwischen eingebrochen und Hassan kehrt zurück. Es war ein erfolgreicher Tag. Die Kanister sind voll, er wurde von den iranischen Grenzposten nicht erwischt und hat umgerechnet 20 Euro verdient. "Allah sei Dank", freut er sich und gibt den Mauleseln ihr wohlverdientes Futter. Wie kam es dazu, dass die Türkei nun Teherans Drehscheibe für die Umgehung der Sanktionen wurde?
Lukrative Handelsbeziehungen mit den Persern werden durch die Strafmaßnahmen immer schwieriger. Die meisten iranischen Banken stehen auf schwarzen Listen, und wer mit Teheran wirtschaftlich liebäugelt, bekommt die US-Wut so zu spüren, dass er meist die Finger davon lässt. Bis 2011 fungierte vor allem das arabische Emirat Dubai als Drehscheibe Teherans, um den internationalen Sanktionsdruck zu umgehen. Doch seit das Emirat einen Rüffel aus Washington bekommen hat, wird auch am Hafen von Dubai viel strenger kontrolliert.
Mittlerweile gefällt sich die Türkei in ihrer Rolle als Nachfolgerin für Dubai mit einer besonderen Konstellation: Neuerdings bezahlt man Teheran die Erdgaslieferungen in Gold. Der Fall zeigt, wie kreativ die iranische Führung ist, die wegen ihres Atomprogramms verhängten Sanktionen von Europa und den USA zu umgehen. Die Türkei bezieht 18 Prozent ihres Erdgases und 51 Prozent ihres Erdöls aus dem Iran. Allen Sanktionen zum Trotz stieg der Warenaustausch zwischen Türkei und Iran 2011 um 50 Prozent auf ein Rekordvolumen von 16 Milliarden Dollar. Tendenz steigend.