Kapitel 1 der Verhandlungen soll im Juni geöffnet werden. | Brüssel. Offiziell haben die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bereits am 3. Oktober 2005 begonnen. Auf den tatsächlichen Auftakt zu den operativen Verhandlungen wartet Ankara seither.
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Nun verdichten sich die Hinweise, dass es noch unter österreichischem EU-Vorsitz losgehen soll. "Im Juni sollte zumindest das erste Kapitel (von 35, Anm.) eröffnet werden", sagte Erweiterungskommissar Olli Rehn nach einem Treffen mit dem türkischen Verhandlungsführer Ali Babacan. Die politischen Kriterien von Kopenhagen seien dafür ebenso erfüllt wie die Bedingungen des Verhandlungsrahmens. Auch Vertreter des österreichischen EU-Vorsitzes änderten ihre Sprachregelung. War bisher stets von der "theoretischen Möglichkeit" des operativen Verhandlungsbeginns vor Juli die Rede, heißt es jetzt: "Davon kann man ausgehen."
Beherzte Reformen
Gleichzeitig machte Rehn klar, dass er von Ankara beherzte Reformen erwarte. Auch die letzten Sommer auf die neuen EU-Staaten inklusive Zypern ausgeweitete Zollunion - das so genannte Ankara-Protokoll - müsse umgesetzt werden. Gerade bei der Öffnung türkischer Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Jets spießt es sich aber. Es gebe "unterschiedliche Interpretationen" der aus dem Protokoll für die Türkei resultierenden Verpflichtungen, sagte Babacan. Die Türkei hatte stets betont, Zypern trotz der Ausweitung der Zollunion weiterhin nicht als Staat anzuerkennen. In der Frage einer "umfassenden Lösung" für die geteilte Insel Zypern sei Ankara "immer einen Schritt voraus", meinte Babacan. Schließlich habe die heute zur EU gehörende Republik Zypern den Wiedervereinigungsplan der UNO mit dem Nordteil der Insel blockiert, der unter türkischer Kontrolle steht. Alle Seiten müssten für einen neuen Anlauf gesprächsbereit sein, sagte er mit Blick auf die Regierung in Nikosia. Babacan wie Rehn sind der Ansicht, dass die Türkei Fortschritte in Richtung Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte und Grundfreiheiten unternehmen muss. Schon in den letzten vier Jahren habe die Türkei "grundlegende Reformen" durchgeführt, die nun "verfeinert" würden. Für alle 17 bisher von der Kommission auf ihre Verträglichkeit mit dem EU-Recht überprüften Rechtsbereiche werde er Aktionspläne vorlegen, um "die Lücke" zwischen den beiden Gesetzesbeständen "zu schließen", so Babacan.
Nach der Ermordung des Verwaltungsrichters Mustafa Yücel Özbilgin durch einen Islamisten am Mittwoch befindet sich die Regierung von Premier Erdogan unter Dauerbeschuss der laizistischen Opposition. Damit wird es für die Regierung in Ankara innenpolitisch noch schwieriger, die zur Frage der "nationalen Ehre" hochstilisierte Öffnung der Häfen und Flughäfen durchzusetzen.
Und so könnten die jungen EU-Verhandlungen schon im Herbst wieder unterbrochen werden.